Hattingen. Eine junge Frau schoss sich im Schießstand in den Brustkorb und traf auch einen Aufseher. Zum Prozess erscheint die Querschnittsgelähmte nicht.

In der Absicht, sich das Leben zu nehmen, schoss sich eine jetzt 37-jährige Studentin im Juli 2021 auf dem Schießstand der Isenberg GmbH in den Brustkorb. Doch die Schlagkraft der Kugel war so heftig, dass sie auch die hinter ihr stehende Aufsichtsperson traf und im Bauchbereich schwer verletzte. Diese Tat sorgte in Hattingen für viel Aufregung und war tagelang Stadtgespräch. Jetzt fand die Verhandlung wegen fahrlässiger Körperverletzung statt und nahm eine ungeahnte Wende.

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Denn die Angeklagte, die aus Lübeck stammt und dort wieder wohnt, erschien nicht vor Gericht. Ihr Anwalt Andreas Mroß schilderte ausführlich, wie die aktuelle Situation der Familie aussieht und warum die 37-Jährige nicht in der Lage ist, sich der Anklage zu stellen.

Nicht in der Lage, vor Gericht zu dem Drama Stellung zu beziehen

Er schickte voraus, dass seine Mandantin seit dem Suizidversuch querschnittsgelähmt ist. Er machte deutlich, dass die Tat eine Folge der psychischen Erkrankung ist, denn seit ihrer Kindheit habe die Frau Zwangsgedanken, die so unerträglich seien, dass sie sich eingeschränkt und behindert fühlt.

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„Sie ist schwer depressiv und außerdem belastet durch das, was sie da angerichtet hat.“ Sie sei absolut nicht in der Lage, vor Gericht zu dem Drama Stellung zu beziehen, weil „sie ständig Angst hat und die ist gigantisch groß“. Sie habe auch Panik, in der Öffentlichkeit über ihre Krankheit zu sprechen, weil andere dann erfahren würden, was an jenem Tag passiert sei. Über die Tat, die für alle Betroffenen eine absolute Katastrophe sei, könne sie nicht einmal weinen. Sie sei gefangen im eigenen Körper und wie zugeschnürt.

Nur eine einzige Patrone nachgeladen

Sehr einfühlsam wandte sich Anwalt Mroß an den Geschädigten, der als Aufsichtsperson damals einen Bauchdurchschuss erlitten hat und als Zeuge vor Gericht geladen war. „Ich möchte Ihre schwere Verletzung gar nicht klein reden“, betont er. Er wolle nur erklären, dass seine Mandatin krank, der Suizidversuch und das anschließende Drama auf dem Schießplatz eine Folge der schweren Erkrankung sei. „Was passiert ist, tut meiner Mandantin unendlich leid.“

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Der 66-Jährige, der – genauso wie die 37-Jährige – die Schussverletzung nur knapp überlebt hat, stand bei der Schießübung ordnungsgemäß hinter der Frau, die mit einer Neun-Millimeter-Waffe eine Fünferserie abgefeuert hatte, dann aber nur eine einzige Patrone nachlud.

Kampf mit der Versicherung um Schmerzensgeld

Da das ungewöhnlich ist, wollte er nach dem Rechten sehen, als sie sich urplötzlich in den Brustkorb schoss, ohne dass er eingreifen konnte, und so selbst Opfer wurde. Von Richter Kimmeskamp befragt, wie es ihm heute gehe, sagte er, er arbeite wieder. „Mit dem, was passiert ist, muss ich jetzt und in Zukunft leben.“ Allerdings kämpft sein Anwalt mit der gegnerischen Versicherung nach über einem Jahr immer noch, um Schmerzensgeld von 30.000 Euro zu bekommen. 10.000 wurden bezahlt, auf den Rest wartet er weiterhin, weil seit Monaten ein notwendiges Gutachten nicht fertiggestellt wird.

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Als der Staatsanwalt dann sechs Monate auf Bewährung beantragt und 600 Euro Strafe, ergreift noch einmal Anwalt Andreas Mroß das Wort und schildert die aktuelle Situation der Familie der Angeklagten. „Die 70-jährige Mutter lebt jetzt mit der querschnittsgelähmten Tochter zusammen. Der Bruder wurde am Kopf operiert, wobei man ihm den halben Schädel entfernen musste. Die Mutter verwaltet die 316 Euro, die meine Mandantin im Monat bekommt, und muss davon 207 Euro an die Krankenkasse bezahlen, weil die Tochter zuletzt als Studentin gemeldet war.“

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Er bat das Gericht, von einer Geldstrafe abzusehen. Darauf ließ sich das Schöffengericht nach der Beratung ein. Es erließ lediglich einen Strafbefehl von sechs Monaten auf Bewährung.