Hattingen. Vor Gericht steht in Hattingen ein Mann, der seine Freundin geprügelt haben soll. Die kam nicht zum Prozess. Wie es trotzdem zum Urteil kam.
Wie beweist man eine Straftat, wenn die Geschädigte als Zeugin beharrlich nicht vor Gericht erscheint und absolut nicht auffindbar ist? Vor dieser schwierigen Aufgabe stand jetzt das Schöffengericht in Hattingen, das in einer fünfstündigen Mammutsitzung die Taten des 31-jährigen Angeklagten akribisch unter die Lupe nahm.
Es ging um die Beziehung zwischen der Geschädigten (27) und dem kinderlosen Beschuldigten, der wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und wegen vorsätzlicher und gefährlicher Körperverletzung angeklagt war. Immer wieder kamen die beiden zusammen, worauf auch regelmäßig wieder eine Trennung folgte.
Gericht in Hattingen: Geprügelte Zeugin ist nicht auffindbar – was das bedeutet
Der 31-Jährige, der schwer alkoholabhängig war und Drogen konsumierte, gab immer wieder an, sich nicht erinnern zu können. Manchmal kamen ihm dann doch wieder Lichtblicke. Grundsätzlich stritt er aber ab, seine Lebensgefährtin, die Mutter von Zwillingen ist, vergewaltigt zu haben. Die Kinder befinden sich mittlerweile in Obhut des Jugendamtes.
Gefährliche Körperverletzung
Gefährliche Körperverletzung ist im deutschen Strafrecht ein Straftatbestand. Das Gesetz sieht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Nur in minder schweren Fällen kann eine Strafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren verhängt werden.
Wird eine solche Straftat mit einem gefährlichen Werkzeug begangen, zum Beispiel ein Tritt mit einem Straßenschuh, dann fällt die Strafe auf jeden Fall höher aus. Es kann aber auch das Verwenden von Gift, Waffen oder ein Angriff aus dem Hinterhalt sein.
Es ging um mehrere Vorfälle, die polizeilich dokumentiert waren, weil die Frau detaillierte Aussagen bei der Kripo gemacht hatte. Immer wieder soll er sie auf ordinärste Art beleidigt, geohrfeigt, getreten und gegen ihren Willen mit ihr Geschlechtsverkehr gehabt haben. Dass sie nicht wollte, habe sie aber nicht explizit zum Ausdruck gebracht, weil „das für sie das kleinere Übel war“, wie sie bei der Polizei zu Protokoll gegeben hatte. Sie habe in erster Linie gewollt, dass die Gewalt gegen sie aufhört. Insofern konnten weder Staatsanwältin Bandorski, noch Richter Kimmeskamp mit den Schöffen diesen Tatbestand verwerten. „Da müssten wir noch nachfragen, was wir aber ohne Zeugin nicht können“, betonte der Richter.
Daumennagel abgerissen
Anders lag der Fall bei zwei weiteren Begebenheiten, die sich im Herbst 2019 ereignet haben sollen. Da wollte die Schwester der Geschädigten mit der jungen Mutter in eine Disco gehen. Laut der Schwester soll der Angeklagte von seiner Arbeitstelle in Essen schon mächtig angetrunken nach Hattingen zu seiner Lebensgefährtin gekommen sein. Nach der Rückkehr des Trios aus der Disco soll das Paar dermaßen in Streit geraten sein, dass der Taxifahrer nachgefragt haben soll, ob er irgendwie helfen könne. Sie seien dann ausgestiegen, um zur Wohnung der beiden zu gehen, wo sie sich alle schlafen legen wollten.
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Schon da sei der Angeklagte gewalttätig geworden, stellte Johannes Kimmeskamp angesichts eines abgerissenen Daumennagels der 27-Jährigen. Verurteilt wurde der einschlägig vorbestrafte Mann schließlich wegen dieses Übergriffs und weil er dann zu Hause seiner Freundin einen Fußtritt aufs Brustbein versetzt hatte. Hämatome und Prellungen waren die Folge. Das schilderte die Schwester sehr genau, die die Szene aus unmittelbarer Nähe mitbekommen und die Polizei gerufen hatte.
Brutale Attacke
Die Staatsanwältin stellte fest, dass man die sexuellen Übergriffe nicht ohne die Geschädigte klären könne. „Da steht Aussage gegen Aussage“, sagt sie. Aber: Da der 31-Jährige zur Zeit der brutalen Attacke noch unter einer Bewährungsstrafe stand – und das einschlägig wegen gefährlicher Körperverletzung – plädierte die Staatsanwaltschaft auf eine Gesamtstrafe von einem Jahr. Und zwar ohne Bewährung. Verteidiger Tim Salewski hingegen wollte Freispruch für seinen Mandanten, weil es zum Beispiel für die Daumenverletzung gar keine Zeugen gebe, der Angeklagte bald wieder eine Arbeit habe und über einen festen Wohnsitz verfüge. Seine Idee: Maximal solle es drei Monate auf Bewährung geben.
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Das sah das Schöffengericht vollkommen anders. Für die Attacke mit der Daumenverletzung gab es vier Monate, für den gefährlichen Tritt aufs Brustbein zehn. Die Gesamtstrafe am Ende: „Ein Jahr auf eine Bewährungszeit von vier Jahren“, erklärte Richter Johannes Kimmeskamp. Zugute hielt der Richter dem Angeklagten, dass er zur Tatzeit sehr betrunken war. Außerdem muss der 31-Jährige dem Dortmunder Frauenzentrum 1000 Euro bezahlen.