Hattingen. Ein 21-jähriger Angeklagter aus Hattingen hält sich an nichts, kommt sogar zu spät zu seinem Prozess. Warum er nun eine letzte Chance erhält.

„Mein Geduldsfaden ist sehr kurz“, gab Richter Christian Amann dem Angeklagten in seiner Urteilsbegründung zu verstehen. Er mache jetzt von einer Möglichkeit Gebrauch, die er selten anwende. Maximal ein halbes Jahr hat der 21-jährige B. jetzt Zeit zu beweisen, dass er sich an Absprachen und Vereinbarungen hält. Die Bringschuld hat er jetzt. „Klappt das, woran ich zweifele, bleiben Ihnen zehn Monate Jugendgefängnis erspart. Klappt das nicht, dann fahren Sie ein.“

Eine lange Liste von Vorstrafen hat der 21-Jährige: Drogenkonsum in erheblichem Maße, Diebstahl, Unterschlagung und gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung. Doch damit nicht genug. An Absprachen, erklärte die Bewährungshelferin, halte er sich so gut wie gar nicht. Was sie dann beschrieb, passte zum Verhalten des jungen Mannes. Er kam fast eine halbe Stunde zu spät zu seiner Gerichtsverhandlung.

Bewährungshelferin hält ihn für völlig beratungsresistent

Verurteilt wurde er bereits mehrfach. Die Auflagen, die ihm dann gemacht wurden, interessierten ihn aber herzlich wenig. Die Bewährungshelferin schilderte, dass immer wieder sie es war, die den Kontakt zu ihrem Klienten gesucht habe, weil er sich an nichts hielt. Sie telefonierte hinter ihm her, schrieb ihn an, fuhr sogar zu ihm nach Hause, um Hilfe anzubieten. Jede Menge Terminversäumnisse lagen vor. „Er ist völlig beratungsresistent.“

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Auch eine Geldzahlung von 350 Euro aus einem früheren Gerichtstermin ignorierte er. Von gutem Willen keine Spur, stellten alle Beteiligten fest. Auch für Richter Amann war das Verhalten des Angeklagten alles andere als neu. „Sie hatten damals Arbeit und bestätigt, dass Sie das Geld in 50-Euro-Raten bezahlen können. Passiert ist aber gar nichts.“ Auch zu therapeutischen Gesprächen ging er nicht.

„Schädliche Neigung“ in der Rechtssprechung

Den Begriff der „schädlichen Neigung“ gibt es in der Rechtssprechung. Beim Strafmaß, das Richter verhängen, geht es auch immer um Beurteilung der Aussichten für die Zukunft des Angeklagten. Eine schädliche Neigung liegt vor, wenn bei Jugendlichen oder heranwachsenden Tätern erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel festgestellt werden, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten vermuten lassen.

Von einer dissozialen Persönlichkeitsstörung spricht man unter anderem, wenn sich Menschen verantwortungslos verhalten und soziale Normen missachten. Die Gefühle anderer Menschen interessieren sie nicht und Schuldgefühle sind ihnen fremd.

„Der Mitarbeiter des Jobcenters hat ihm so viele Angebote gemacht. Er hat versucht, herauszufinden, was den jungen Mann interessieren könnte. Doch gekümmert hat den 21-Jährigen das in keiner Weise.“ Dasselbe Bild beim HAZ. Auch da sei ihm jede Hand gereicht worden, damit er sein Leben stabilisieren und in den Griff bekommen kann. Mit derselben Resonanz: null.

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Zurzeit wohnt er immer noch bei seinem Vater, der allerdings in absehbarer Zeit die Wohnung verlassen muss. Ein neues Zuhause muss er sich also noch besorgen. Auch betreutes Wohnen sei ihm angeboten worden, erklärte die Bewährungshelferin. Da das gleiche Bild: Er reagierte nicht. Jobs, die er durch Zeitarbeitsfirmen bekommen hatte, verlor er grundsätzlich. Aber bei sich sucht er nie die Schuld. Immer seien es die anderen oder die Umstände.

Eine Jugendstrafe im unteren Bereich

Auf die Frage, ob er im Augenblick einen Job habe, antwortete der Angeklagte, er habe einen Job in Aussicht. „Also nein“, stellte Christian Amann fest. Nach den Vorschlägen des weiteren Vorgehens befragt, hielt die Bewährungshelferin eine stationäre Maßnahme für die beste. Weil der junge Mann alle ambulanten Angebote nicht annehme. Die ganze Negativliste des Verhaltens fasste der Staatsanwalt zusammen und forderte acht Monate, noch einmal auf Bewährung. Er plädierte für „eine Jugendstrafe im unteren Bereich“.

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Alle Auflagen habe er „mit Krachen nicht erfüllt“, sagte der Richter und kam zu einem anderen Ergebnis. „Ich frage mich, ob das Verhalten Ausdruck einer dissozialen Persönlichkeit ist oder ob wir es mit schädlichem Verhalten zu tun haben. Wahrscheinlich beides.“ Jetzt müsse sich der Angeklagte kümmern. „Funktioniert das nicht, gibt es zehn Monate Gefängnis.“