Hattingen. Trotz Schonzeit schneidet eine Firma in Hattingen eine Hecke und trennt dabei einem Amselküken den Schnabel ab. War der Heckenschnitt illegal?
„Als ich das Amselküken mit dem abgetrennten Schnabel sah, stand ich erstmal unter Schock“, sagt Patricia Bender aus Welper. Jetzt steht die Frage im Raum, ob es sich um einen verbotenen Heckenschnitt während der Schonzeit handelt oder um einen unglücklichen Unfall bei einem Formschnitt für die Verkehrssicherung.
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Nach der Arbeit fielen Patricia Bender zwei Dinge auf: „Die Hecke, die an unser Grundstück grenzt, war stark zurückgeschnitten worden, außerdem saß darauf eine Amsel, die die ganze Zeit den Schnabel geöffnet hatte – was ja ein Zeichen für Stress ist.“ Die 39-Jährige entdeckte ein Vogelnest mit vier Amselküken, eines davon schwer verletzt. „Das Nest muss vorher in der Hecke gewesen sein, durch den Beschnitt lag es nun quasi oben drauf und war Sonne und Fressfeinden schutzlos ausgeliefert.“
Ein Tierarzt musste das verletzte Küken einschläfern, berichtet die Welperanerin. „Der Anblick hat mich die ganze Nacht wachgehalten, es ist schlimm, auch weil aktuell Schonzeit ist.“ Während dieser dürfen an Hecken lediglich die neuen Triebe zurückgeschnitten werden. „Man kann aber nun durch die Hecke durchgucken, was auf einen zu starken Rückschnitt deutet.“ Bender hat Anzeige bei der Unteren Landschaftsbehörde erstattet.
Ausführende Firma: Kein starker Rückschnitt
Den Unfall verursachte ein Mitarbeiter der Firma Beber, die seit rund 15 Jahren von der Gartenstadt Hüttenau, auf deren Grund die Hecke steht, mit der Grünpflege beauftragt wird. Der Rückschnitt sei zur Verkehrssicherung vorgenommen worden, sagt Geschäftsführer Stefan Beber. Er beteuert, von einem zu starken Rückschnitt könne keine Rede sein, die braunen lichten Stelle seien vertrocknetes Holz.
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Bei dem Unfall handele sich um einen bedauernswerten Einzelfall, den einzigen in den vergangenen 30 Jahren, der ihm bekannt sei, so Beber. „Amseln bauen ihr Nest normalerweise tiefer in die Hecke ins Altholz, deshalb ist so ein Vorfall sehr unwahrscheinlich. Hier hat die Amsel das Nest weiter vorne in die neuen Triebe gebaut.“
Das wiederum bezweifelt Daniela Disselkötter, die eine Wildvogel-Aufzuchtstation betreibt und Bender an besagtem Abend half. „Dass eine Amsel ihr Nest in die neuen Triebe baut, ist eigentlich praktisch nicht möglich, die sind zu instabil.“ Pro Saison bekomme sie zwei bis drei Nester aufgrund von Grünpflegearbeiten gebracht: „Küken verwaisen, weil ihre Eltern wegen des Lärms nicht zurückkommen und Vögel werden durch Gerätschaften verletzt oder getötet.“
Heckenschnitt während der Schonzeit
Die gesetzliche Schonzeit liegt zwischen dem 1. März und 30. September. Während dieser Zeit sind nur so genannte Formschnitte erlaubt, bei denen wenige Zentimeter der neuen Triebe zurückgeschnitten werden. Wer sich nicht an diese gesetzlichen Vorgaben hält, begeht eine Ordnungswidrigkeit und kann eine Geldbuße auferlegt bekommen.
Isolde Füllbeck vom Naturschutzbund (Nabu): „Die Hecke komplett auf Stock zu schneiden, kann später gemacht werden.“ Wer andere dabei beobachtet, die sich nicht an die Schonfrist halten, solle Ordnungsamt oder Polizei informieren, so Füllbeck.
Auf der Webseite des Nabu finden sich weitere Infos: https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/helfen/index.html
Wildvogel-Pflegerin Daniela Disselkötter berät am Telefon, wie man sich bei einem Fund optimal verhält: 0163 8766664.
So tragisch es auch sei: Gänzlich vermeiden lasse sich so ein Unfall nicht, betont Stefan Beber. „Die Hecken vorher abzulaufen und zu horchen macht keine Sinn, denn die Vögel sind dann mucksmäuschenstill. Auch jede Hecke vorher gründlich zu untersuchen ist unmöglich – zeitlich und wirtschaftlich.“ Er habe jedoch mit seinen Mitarbeitern gesprochen um sie zu sensibilisieren, weitere sinnvolle Maßnahmen gebe es aber nicht.
Gartenstadt hat hecke mit einem Gutachter inspiziert
Gartenstadt-Geschäftsführer Roland Himmel sagt, er habe die Hecke mit einem Gutachter inspiziert, um festzustellen, ob sie zu weit zurückgeschnitten wurde – dass sei nicht der Fall. „Der Beschnitt endet ziemlich exakt an der Kante zur Straße, in der Tendenz steht die Hecke sogar noch etwas über. Ich bin davon überzeugt, dass wir bisher keine derartigen Fälle zu beklagen hatten, da eine Sicht- und Hörkontrolle durch die Anrainer passiert und in der Regel gut funktioniert.“
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Patricia Bender hofft da auf mehr Engagement: „Ich würde mir wünschen, dass die Anwohner nachgucken, ob es ein Nest in ihrer Hecke gibt. Falls ja und es rückt eine Firma zum Beschnitt an, sollte die informiert werden.“
Eine gute Nachricht zum Schluss: Die verbleibenden drei Küken hat Bender samt Nest wieder in die Hecke gesetzt „es wurde zum Glück kurz darauf wieder von den Elterntieren angeflogen.“