Hattingen. Vor Gericht in Hattingen: Ein Nazi-Vergleich, die Meinungsfreiheit, die Beleidigung Deutschlands und was das alles mit Jan Böhmermann zu tun hat.

Einen solchen Vorwurf erleben die Beteiligten vor dem Amtsgericht Hattingen nicht oft: „In 14 Jahren hatte ich noch nie mit Paragraf 90a zu tun“, sagt Anwalt Henner Sentner und auch Richterin Helena Wendland hatte einen Vorwurf nach diesem Paragrafen noch nicht auf dem Richtertisch.

Einem 41-Jährigen wurde die Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole vorgeworfen. Vor Gericht entwickelte sich eine Diskussion um Meinungsfreiheit, darum, was Öffentlichkeit ist und welchen Unterschied es macht, ob gefragt wird: „Sind wir denn hier in scheiß Nazi-Deutschland“ oder selbiges festgestellt wird.

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Der Fall Jan Böhmermann

Moderator Jan Böhmermann hatte 2016 ein so genanntes „Schmähgedicht“ gegen den türkischen Präsidenten Recep Erdogan in seiner Sendung vorgetragen. Dieser strengte daraufhin ein Verfahren gegen Böhmermann nach Paragraf 103 wegen Majestätsbeleidigung an.

Das Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann wurde eingestellt, der entsprechende Paragraf 2017 abgeschafft. Dennoch wurde festgestellt, dass Satire nicht alles schrankenlos sei. Sei das allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen, bedürfe es einer Abwägung, so das Gericht.

In diesem Jahr wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Diskussion über die Teil-Untersagung des Gedichts erwartet.

Was passiert war: Der angeklagte Hattinger hatte im vergangenen Sommer zu einer Gartenparty geladen. Zu später Stunde rückte die Polizei wegen Ruhestörung an. Das missfiel dem Angeklagten und er begrüßte die Beamten laut Anklage mit den Worten „Scheiß-Bullen“ und „Arschlöcher“. Die Verunglimpfung des Staates sah die anklagende Staatsanwaltschaft nun in der Formulierung: „Wir sind hier in scheiß Nazi-Deutschland“.

Über seinen Anwalt Henner Sentner bestritt der Hattinger zunächst die Beleidigungen. Die Nazi-Deutschland-Formulierung habe er zudem als Frage gestellt. Der Paragraf 90a sieht eine Strafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe unter anderem für den vor, der „öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft oder böswillig verächtlich macht“. Ob eine private Gartenparty öffentlich ist, daran habe er Zweifel, betonte der Anwalt.

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Überhaupt müsse darüber diskutiert werden, ob die Äußerung nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Zum Vergleich zog er ein prominentes Beispiel heran: Die Diskussion um Jan Böhmermanns „Schmähgedicht“ gegen den türkischen Präsidenten Erdogan und die Anklage nach Paragraf 103 Strafgesetzbuch wegen Majestätsbeleidigung.

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Fest steht am Ende des Verfahrens eines: Eine Beleidigung bleibt eine Beleidigung und keine Meinung. Erst recht, nachdem der Angeklagte sie dann doch zugab. Den Vorsatz, die Bundesrepublik öffentlich zu verunglimpfen konnte aber auch das Gericht nicht erkennen, eine Schmähung der Polizisten sehr wohl. Deshalb verurteilte Richterin Helena Wendland den 41-Jährigen auch nicht nach Paragraf 90a, sondern wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 500 Euro. Die wird mit einer Strafe zusammengeführt, die der Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erhalten hatte, so dass er insgesamt 850 Euro zahlen muss.

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Zugute wurde ihm gehalten, dass er zum Tatzeitpunkt nach einem traumatischen Einsatz als Rettungssanitäter unter extremen psychischen Belastungen und Antidepressiva stand. Auch, dass sich der Angeklagte noch in der Nacht und vor Gericht bei den Polizisten entschuldigt hatte, wurde anerkannt.