Hattingen. Das Rotkehlchen ist Vogel des Jahres. Vogel-Experte Thomas Griesohn-Pflieger aus Hattingen erklärt, warum er diese Wahl kritisch sieht.

Das Rotkehlchen hat gewonnen. Fast 60.000 Menschen haben bei der Wahl zum Vogel des Jahres für den populären Gartenvogel gestimmt. Nicht verwunderlich, meint der Hattinger Vogel-Experte Thomas Griesohn-Pflieger, wenngleich er als Naturschützer „nicht so begeistert“ von der Wahl ist.

Rotkehlchen ist Sympathieträger

Für gewöhnlich wird der entsprechende Vogel von einer Fachjury bestimmt. Hintergrund ist, auf bedrohte Arten oder Lebensräume aufmerksam zu machen. „Das ist beim Rotkehlchen unmittelbar nicht der Fall“, sagt Griesohn-Pflieger. Bei der diesjährigen Wahl durfte erstmals die breite Masse abstimmen. Und die hat eben das Rotkehlchen gewählt, dass weder bedroht ist noch akut um seinen Lebensraum fürchten muss.

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Und Griesohn-Pflieger hat auch eine Idee, wieso es der kleine Vogel auf Platz eins geschafft hat: „Das Rotkehlchen entspricht sehr genau dem Kindchen-Schema: große Augen, pummelig, zutrauliches Verhalten“, zählt er auf.

Rotkehlchen werden oft nur ein Jahr alt

Besonders letzteres führe oftmals zu einer Fehlinterpretation der Beziehung zwischen Mensch und Vogel, sagt Griesohn-Pflieger. Manchmal höre er von Menschen die sagen: „Das Rotkehlchen ist mein Freund“, weil es ihre Nähe suche, wenn sie im Garten arbeiten. Für den Vogel sei es jedoch nur praktisch, den frisch umgegrabenen Boden auf Würmer und andere Nahrung zu untersuchen. „Das hat nichts mit persönlicher Bekanntschaft zu tun“, betont der Vogel-Fachmann.

Thomas Griesohn-Pflieger muss die Anhänger des Rotkehlchens oft desillusionieren: Die Vögel kommen in den Garten, weil sie Futter suchen, nicht wegen der persönlichen Bekanntschaft mit den Gartenbesitzern.
Thomas Griesohn-Pflieger muss die Anhänger des Rotkehlchens oft desillusionieren: Die Vögel kommen in den Garten, weil sie Futter suchen, nicht wegen der persönlichen Bekanntschaft mit den Gartenbesitzern. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Ebenso stoße er oft auf Menschen, die behaupten, seit 15 Jahren von ein und demselben Rotkehlchen im Garten besucht zu werden. „Das ist dann wahrscheinlich schon das 15. Rotkehlchen“, desillusioniert der Vogel-Experte die Kehlchen-Fans dann. Denn in der freien Natur hat der Vogel gerade mal eine Lebenserwartung von rund einem Jahr, weil er zum Beispiel in Unfälle verwickelt ist oder gefressen wird. Theoretisch könnte er allerdings auch zehn Jahre alt werden.

Schottergärten sind ein No-Go für Vogel-Fans

Wer den eigenen Garten für Rotkehlchen (aber auch andere Tiere) attraktiv machen will, sollte auf Natürlichkeit und heimische Bepflanzung setzen. Schottergärten sind ein No-Go, da sie kein Futter und keinen Lebensraum bieten. „Die Gärten werden immer mehr zur Grillstelle und sind nicht mehr voller Leben“, bedauert Griesohn-Pflieger und appelliert: „Jeder, der altes Laub liegen lässt, nützt den Rotkehlchen und anderen Tieren.“

Viele Vögel verschwinden – auch in Hattingen

Bei der Wahl zum Vogel des Jahres waren zuletzt zehn Fina­listen in der Abstimmung für jedermann. Hinter dem Rotkehlchen, landeten Rauchschwalbe und Kiebitz auf den Plätzen zwei und drei.

Dabei gehört der Kiebitz aus der Familie der Regenpfeifer zu den Vogelarten, die es in Hattingen schon nicht mehr gibt. Auch die Feldlerche (Platz vier) ist hier mittlerweile verschwunden, ebenso wie Rebhuhn oder Gartenrotschwanz.

Am besten für die Gartenvögel sei es, das Laub unter Sträucher und Hecken zu fegen, dort wäre dann ein idealer Brutplatz – zum Beispiel für Rotkehlchen. Als solche lohnen sich heimische Pflanzen, die blühen und Früchte tragen, davon profitieren auch Insekten. Weißdorn oder Berberitze seien besser geeignet als beispielsweise Kirschlorbeer, erläutert Griesohn-Pflieger. Auf der Fläche profitieren die Tiere eher von der artenreichen Wildwiese als vom akkurat gemähten Golfrasen. Ansonsten gilt: im Winter füttern, im Sommer Badestellen anbieten.

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Griseohn-Pflieger: Jeder einzelne hat Verantwortung

Wichtig ist Griesohn-Pflieger zu betonen, dass jeder einzelne eine Verantwortung hat, die biologische Katastrophe aufzuhalten. „Wenn wir es so weitertreiben, ist es irgendwann zu spät“, mahnt der Naturschützer. Auch das Engagement der Stadt Hattingen sei verbesserungswürdig: „Es tut sich ein bisschen was, aber immer nur zufällig“, bewertet er deren umweltpolitisches Vorgehen.

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