Hattingen. Anlässlich des Gruselfests hat Sagenpapst Dirk Sondermann das „Hattinger Sagenbuch“ geöffnet und präsentiert eine ganz untypische Volkserzählung.

Wenn es einen Tag im Jahr gibt, der sich anbietet, gruselige Geschichten zu erzählen und sich an Sagen über schaurige Hexen oder Geistererscheinungen zu erinnern, dann ist es der Tag vor Allerheiligen: Halloween. Hierzu hat Dirk Sondermann, der Sagenpapst des Ruhrgebiets, im Gespräch mit der WAZ erneut sein „Hattinger Sagenbuch“ geöffnet und stellt in diesem Jahr eine eher ungewöhnliche Sage vor: „Die Hexe an der Knippe“.

Demnach lebte „auf der Knippe“ die Frau eines Zechenarbeiters, die den Tod ihrer Mitmenschen vorhersehen konnte, selbst aber keine Hexe war. „Die war geistersichtig, das war früher in Westfalen weit verbreitet“, erläutert Sondermann dazu.

Auch interessant

Als nach einem heißen und trockenen Sommer die Kühe in den Ruhrwiesen keine Milch mehr gaben, suchten die Bauern im Umkreis Rat bei besagter Dame, die in der Sage „die Knippsche“ genannt wird. Sie erklärt, dass es sich um das Werk einer Hexe in der Nähe handeln müsse und empfiehlt, dass eine Bauersfrau – die „Husmannsche“ – noch einen letzten Tropfen Milch zu melken versuchen sollte und diesen aufkochen. Im Dampf werde sich die Hexe materialisieren, der dann mit einem Messer beigekommen werden kann.

Untypische Sage mit wahren Ankerpunkten

„Das ist wirklich eine sehr atypische Sage“, räumt Sondermann ein. Sowohl von der Hexenfigur als auch „von der Art der Hexenbekämpfung her“. Denn üblicherweise verwandelten sich Sagen-Hexen in Tiere, vorzugsweise Katzen. „Dass sie sich in Dampf materialisieren und herbei zitiert werden können, ist mir in unserer Gegend so noch nicht untergekommen“, meint Sondermann, der sich immerhin seit über 40 Jahren mit den mystischen Volkserzählungen befasst. Zudem würden Hexen üblicherweise aufgehängt oder verbrannt, nicht aber mit Messern erstochen.

Trotz dieser Unüblichkeiten gibt es keinen Grund an der Authentizität der Sage zu zweifeln. Tatsächlich hat sie sogar recht viele reale Ankerpunkte: „Auf der Knippe“ ist bis heute der Name einer Straße an der Grenze zwischen Bochum und Hattingen, erklärt Sondermann. Und sogar eine Familie Husmann sei dort belegt: „Zumindest 2007, als ich das Buch geschrieben habe, wohnten sie noch da“, sagt Sondermann. Er habe die Familie auch kontaktiert, um zu fragen, ob sie die Sage kenne. Das sei allerdings nicht der Fall gewesen.

Auch interessant

In der Sage folgt die Husmannsche nun dem Rat der Knippschen. Während sie mit einem Messer im Dampf stochert, hört sie, wie draußen jemand läuft und stöhnt, ein Schlagen gegen die Tür, ein Rappeln am Fenster und zum Schluss sogar deutlich artikulierte Schreie. Irgendwann hört die Husmannsche auf und es ist still. Fortan geben auch die Kühe wieder Milch.

Die Hexe an der Knippe

Bei „Die Hexe an der Knippe“ handelt es sich um eine ätiologische Sage, erklärt Sagenpapst Dirk Sondermann. Das seien Geschichten, die versuchen bestimmte Dinge zu erklären, für die es keine andere Erklärung gibt – in diesem Fall das Problem, dass die Kühe keine Milch geben.

Dank der Erwähnung der Zeche (vermutlich handelt es sich um „Dahlhauser Tiefbau“, die 1858 gegründet wurde) und der Tatsache, dass eine Quelle die Sage in Hattinger Mundart abgefasst hat, kann er sogar den Entstehungszeitraum relativ gut eingrenzen: „Ich denke sie wird in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts aufgekommen sein, weil man später kaum noch Mundart sprach.“

Der vollständige Text sowie die in Mundart abgefasste Form finden sich im Hattinger Sagenbuch oder unter www.sagenhaftes-ruhrgebiet.de.