Hattingen. Die Leiterin der Bio-Station im EN-Kreis erklärt die Bedeutung des Waldes – nicht nur als Luftfilter. Sie zeigt, wie man den Wert berechnen kann.
Die letzten Wochen waren von einschneidenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens geprägt. Und so haben so viele Menschen wie noch nie, genutzt und genossen, was immer da ist: die Kulturlandschaft „vor der Haustür“. Britta Kunz, Leiterin der Biologischen Station im Ennepe-Ruhr-Kreis erklärt die Bedeutung des Waldes, wie man seinen Wert – auch materiell – berechnen kann und warum wir ihn uns gar nicht leisten könnten:
Natur in Hattingen ist vom Menschen stark verändert
Ich spreche übrigens von Kulturlandschaft oder „Natur“ in Anführungszeichen, weil die Landschaft vom Menschen, fast überall in Deutschland, stark verändert worden ist. Ohne uns würde, bis auf ein paar Extremstandorte, wie Moore oder Hochgebirge, Wald wachsen. Und auch dieser würde anders aussehen, als der Wald, den wir kennen und der vor allem der Holzgewinnung dient.
Dennoch ist diese „Natur“ auch wertvoll. Nicht nur für die unzähligen Organismen – Kleinstlebewesen, Pflanzen, Pilze, Tiere – die darin leben und die Landschaft ausmachen. Auch für uns. Erholung ist eine von vielen Funktionen, die uns eine schöne Landschaft quasi nebenbei spendiert.
Eintritt frei im Wald
Der Eintritt in den Wald ist frei. Aber: Wie viel würden Sie geben, wenn Sie für einen Spaziergang im Wald, eine Radtour entlang der Ruhr, ein Mittagsschläfchen auf der sonnigen Wiese „Eintritt“ bezahlen müssten? Sie finden, das ist eine merkwürdige, vielleicht sogar absurde Frage? Aber warum eigentlich? Natur und Landschaft haben unbestreitbar einen Wert. Nicht nur für unsere Erholung.
Nehmen wir das Beispiel Wald: Er filtert Staubpartikel aus der Luft, er ist Kohlenstoffspeicher und Sauerstoffproduzent. Er mildert Wind ab und schützt vor Erosion. Er nimmt Wasser langsam auf und kann so vor Überschwemmungen schützen. Er kann Schnee- und Erdlawinen aufhalten oder abmildern. Er ist Lebensraum für unzähligen Organismen und Rohstofflieferant.
Gesundheitsfördernde Wirkung des Waldes
Der Liste lässt sich noch vieles hinzufügen. Viele Studien haben die gesundheitsfördernde Wirkung vom Aufenthalt in der „Natur“ nachgewiesen. Der Wald fördert also unsere Gesundheit und spart der Allgemeinheit Kosten im Gesundheitssystem.
All das, von der Luftreinhaltung bis zur Erholungsfunktion, sind sogenannte Ökosystem-Dienstleitungen. Ihren Geldwert kann man tatsächlich berechnen – und damit in der Summe den Wert eines Ökosystems wie den Wald. Die Berechnung ist nicht ganz einfach, es gibt viele Variablen, wie zum Beispiel die Größe des Ökosystems, das Alter und die Zusammensetzung der Arten, den Untergrund, die Umgebung und vieles mehr, und es ergibt natürlich einen Schätzwert. Aber es ist möglich.
Materieller Wert der Ökosysteme
Der materielle Wert eines bestimmten Ökosystems ergibt sich letztlich aus den Kosten, die die Allgemeinheit für dieselben Leistungen (zum Beispiel Luftreinhaltung, Erosions- und Hochwasserschutz, erhöhte Gesundheitskosten usw.) aufbringen müsste, wenn dieses Ökosystem nicht da wäre.
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Wissenschaftliche Schätzungen gehen davon aus, dass der materielle Wert aller Leistungen, die Ökosysteme weltweit erbringen, um ein Vielfaches höher ist, als das weltweite Bruttosozialprodukt, also die Summe aller vom Menschen hergestellten Waren und erbrachten Dienstleistungen. Wir wären daher gar nicht in der Lage, alle diese Dienstleistungen der Ökosysteme zu ersetzen. Daher liegt ein respektvoller Umgang mit der Natur in unserem ureigenen Interesse. Umso mehr, als es der „Natur“ in Deutschland nicht besonders gut geht, so der neueste Bericht des Bundesumweltministeriums.
Immaterieller Wert der Natur
Sicherlich muss man nicht immer alles in Geld bemessen, schon gar nicht im privaten Bereich. Ein Wert kann auch immateriell wahrgenommen werden. Und auch in diesem Sinne kann man sich beim nächsten Spaziergang einmal die Frage im weitesten Sinne stellen: Was ist mir das wert, was bedeutet das für mich, dass ich das erleben kann?