Hattingen. Nadir Sevis kommt 1973 als Gastarbeiter-Sohn nach Hattingen. Schnell ist er integriert und akzeptiert – und hilft, dass es auch andere schaffen.
Nadir Sevis ist ein Vorbild für funktionierende Integration. Und weil ihm das selbst so gut gelungen ist, versucht er seit Jahrzehnten anderen dabei zu helfen, es genauso zu schaffen; sei es damals auf der Hütte, später im legendären Haus Burgeck oder auf dem Fußballplatz. Seine Meinung ist gefragt – auch von Fachausschüssen des Deutschen Bundestages.
Zehn Jahre Bundesvorsitzender des Verbands für interkulturelle Arbeit
Die Politik arbeitet mit dem Welperaner zusammen, als er zwischen 1997 und 2007 Bundesvorsitzender des Verbands für interkulturelle Arbeit ist. Er ist bekannt für seine klare Kante, die er mit viel Geschick und im freundlichen Ton anbringt. Deshalb ist er beliebt, deshalb wird ihm zugehört.
Nadir Sevis kommt 1973 aus Sivas (Türkei) nach Hattingen, weil sein Vater als Gastarbeiter einen Job auf der Henrichshütte bekommt. Nadir ist zwölf Jahre alt, das Land ist ihm fremd: Denn kurz zuvor besucht er in seiner alten Heimat noch die siebte Klasse, hier wird er jetzt ein Viertklässler. Und: „Ich konnte zunächst kein Wort Deutsch.“ Doch schnell lernt er in der Schule die Sprache und hilft, wo er kann.
Mit 17 gründet er eine türkische Jugendgruppe in Welper, fängt auch auf der Hütte eine Ausbildung an. Er dolmetscht, begleitet andere türkischstämmige Hattinger bei Arzt- oder Amtsbesuchen.
Aufbau des Türkischen Arbeiter-und Freundschaftsverein
Es funktioniert. Schnell ist Nadir Sevis integriert. Akzeptiert. Er hilft beim Aufbau des Türkischen Arbeiter- und Freundschaftsverein (TAF) und dessen Fußballsparte Anadoluspor. Und auf dem Fußballplatz erlebt er alles, was der Sport hergibt: ein verlorenes Aufstiegsspiel nach Elfmeterschießen gegen den TuS Bredenscheid im Jahr 1995 etwa; aber auch den Triumph im Jahr danach mit dem Aufstieg – und dann auch noch zwei vierte Plätze bei den Hallen-Stadtmeisterschaften in den Jahren 1992 und 2000.
Auch interessant
Zudem verbindet er eine seiner schönsten Erinnerungen in der Integrationsarbeit mit dem Fußball. Denn im Jahr 1993, als nach dem rechtsradikalen Anschlag von Solingen fünf Menschen türkischer Herkunft ums Leben kommen, will Nadir Sevis ein Zeichen setzen. „Ich habe Hannes Bongartz, den Trainer des damaligen Bundesligisten SG Wattenscheid 09, angerufen, und gefragt, ob sie ein Spiel gegen uns machen würden“, sagt Sevis in einem WAZ-Gespräch. „Er sagte: Ich bin einverstanden, wir kommen mit der ersten Mannschaft. Aber es sollen sich alle Hattinger Mannschaften beteiligen.“
Gründungsmitglied des Vereins zur Förderung der Ausländerarbeit
Und so stellten alle Klubs Spieler der verschiedensten Herkünfte, als die Nullneuner das Spiel auf dem Rasenplatz des Schulzentrums Holthausen 15:1 gewonnen haben. „Es war ein tolles Erlebnis.“
Stichwort: Haus Burgeck
Als in den frühen 1970er-Jahren die Ausländerarbeit in Hattingen beginnt, suchen die Gastarbeiter einen Anlaufpunkt. Sie finden ihn im Haus Burgeck an der Bahnhofstraße. Türken kommen hier zusammen, Tamilen und Portugiesen, Flüchtlingskinder, Deutsche, Serben, Bosnier und Kroaten – das Haus steht allen offen.
2003 muss Haus Burgeck dem Ausbau der Bochumer Straße weichen. Erst im Frühjahr 2016 wird das Bürgerzentrum Holschentor eröffnet.
Sevis ist Gründungsmitglied des Vereins zur Förderung der Ausländerarbeit in Hattingen, viele Jahre auch dessen Vorsitzender in der Freizeit- und Begegnungsstätte „Haus Burgeck“ an der Bahnhofstraße. „Die deutsche Sprache sprechen zu können, hilft viel bei der Integration“, sagt er, der zudem immer wieder den „großen Bedarf an der Integration von Migranten in Schulen oder Firmen“ betont.
Populistische Diskussionen über die Religion
Rechte Gedanken, so Nadir Sevis, habe es immer gegeben. Was er indes als kritisch ansieht, sei „die häufig undifferenzierte und populistische Diskussion um die Religion“. Wer sich mit ihm darüber auseinandersetzt, gewinnt Verständnis, mehr fordert er auch gar nicht ein.
Im Jahr 2005 bekommt der Fenerbahçe-Istanbul-Fan, der auch eine Freundschaft zwischen Hattingen und der türkischen Stadt Sızır, wo seine Verwandtschaft herkommt, initiierte, die Dankeschön-Medaille von Sparkasse und WAZ. Überreicht von Fußballreporter-Legende Werner Hansch – wie passend.
>>> Weitere Hattinger Gesichter und Geschichte(n)
>>> DIESER HATTINGER IST EIN WELTSTAR