Hattingen. Theologin Uta Ranke-Heinemann hat ein Fachwerkhaus in Hattingen. In der Ruhe Elfringhausens schreibt sie ihre Aufmerksamkeit erregenden Bücher.

Reichstag, Berlin, 23. Mai 1999: In der 11. Bundesversammlung wird der neue Bundespräsident oder die neue Bundespräsidentin gewählt. Vorgeschlagen sind Johannes Rau (SPD), Dagmar Schipanski (CDU) – und Uta Ranke-Heinemann, die von der PDS (Nachfolgepartei der SED, Vorläufer der Linkspartei) aufgestellt ist. Die streitbare Theologin holt im ersten Wahlgang 5,2 Prozent der Stimmen und im zweiten 4,6 %. Sie hat damit erwartungsgemäß keine Chance gegen Johannes Rau, der zum achten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt wird. Was das alles mit Hattingen zu tun hat, fragen sie sich jetzt: Uta Ranke-Heinemann verbringt einen Teil ihres Lebens seit den 1970er-Jahren in Elfringhausen.

Sie ist im Hattinger Hügelland alteingesessen – aber auch eine Einsiedlerin

Uta Ranke-Heinemann bei einem ihrer Vorträge im Alten Rathaus am Untermarkt im November 1993.
Uta Ranke-Heinemann bei einem ihrer Vorträge im Alten Rathaus am Untermarkt im November 1993. © WAZ | Martin Spletter

Der Höhenweg im Hügelland, Abgeschiedenheit pur. Ein Fachwerkhaus, hier, „wo mich die Kühe immer so philosophisch angucken“, wie sie es in einem WAZ-Gespräch zur Präsidentenwahl beschreibt – das ist seit den 1970er-Jahren auch ihr Zuhause, vor allem an den Wochenenden, denn unter der Woche ist sie viel zu umtriebig und beruflich unterwegs. Sie schläft dann in ihrem Haus in Essen, in dem sie gerne die Medien empfängt und sich im Sessel von Vater Gustav fotografieren lässt.

Das Hügelland steht für Ruhe, viele ihre näheren und weiteren Nachbarn bemerken gar nicht, wer da ums Eck lebt, denn sie sei zwar alteingesessen, „aber auch eine Einsiedlerin“ – „am liebsten wäre ich Mönch in einer Bibliothek“, sagt sie.

Papst-Besuch im Ruhrgebiet sei ein „Frömmigkeitsspektakel“ gewesen

Streitbare Frau: Seit den 1970er-Jahren lebt Uta Ranke-Heinemann auch in Elfringhausen.
Streitbare Frau: Seit den 1970er-Jahren lebt Uta Ranke-Heinemann auch in Elfringhausen. © WAZ | Udo Milbret

Uta Johanna Ingrid Heinemann wird am 2. Oktober 1927 geboren. Ihr Vater – Sozialdemokrat – ist zwischen 1969 und 1974 dritter Bundespräsident der Bundesrepublik. Kurios: Sie ist die Tante von Johannes Rau, gegen den sie an diesem 23. Mai 1999 im Reichstag antritt.

1954 heiratet sie den Religionslehrer Edmund Ranke, hat zwei Söhne, von denen sich Johannes in Elfringhausen gleich nebenan einrichtet. 1969 habilitiert Uta Ranke-Heinemann als erste Frau der Welt in katholischer Theologie – ein Jahr später erhält sie eine Professur.

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Sie mag aber keinen Kuschelkurs, spricht vom Christentum als „arrogante Religion“, vom Papst-Besuch im Ruhrgebiet als „Frömmigkeitsspektakel“ und sagt über die Jungfrauengeburt: „Die mirakulöse Unversehrtheit trägt sexualfeindliche und zölibatär-neurotische Züge“.

Ruhrbischof Hengsbach entzieht ihr im Jahr 1987 die Lehrbefugnis

„Die streitbare Theologin“, so die gängige Beschreibung von Journa­listen, trägt ihre Ansichten auch immer wieder live im Fernsehen vor. Ruhrbischof Hengsbach wird das 1987 zu viel: Er entzieht ihr die Lehrbefugnis. Doch schon Ende des selben Jahres bekommt sie einen Lehrstuhl für Religionsgeschichte an der Uni Essen. Parallel schreibt sie Bücher, allesamt in ihrem Haus im Hügelland. „Eunuchen für das Himmelreich“ landet 1989 auf Platz zwei der Jahresbestsellerliste des Spiegels – „Nein und Amen. Anleitung zum Glaubenszweifel“ wird drei Jahre später ein internationaler Bestseller.

Uta Ranke-Heinemann und die PDS

Die scharfe Kritik an den Nato-Luftangriffen auf Jugo­slawien bringt die Theologin Uta Ranke-Heinemann und die SED-Nach­folgepartei PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) zusammen. Die Partei erklärt, sie könne weder Johannes Rau noch Dagmar Schipanski unterstützen, weil beide Befürworter seien.

Zwei Wochen vor der Bundespräsidentenwahl wird Uta Ranke-Heinemann in Abwesenheit zur Kandidatin gekürt. Die PDS hat in der Bundesversammlung aber nur 65 der 1338 Wahlfrauen und Wahlmänner – somit ist ein Wahlerfolg von vornherein aussichtslos. Dennoch wird ihre Kandidatur viel beachtet.

Auch ihr Engagement in der Friedensbewegung sorgt für Aufsehen: Sie kämpft für ein Verbot von Napalm, besucht den nordvietnamesischen Ministerpräsidenten Pham Van Dong (1972) und fordert Anfang der 1980er-Jahre in Moskau eine Nulllösung für Atomwaffen.

„Es wäre eine Katastrophe, wenn ich Bundespräsidentin würde“

Die Tante gratuliert ihrem Neffen: Uta Ranke-Heinemann und Johannes Rau nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten.
Die Tante gratuliert ihrem Neffen: Uta Ranke-Heinemann und Johannes Rau nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten. © dpa | Michael Jung

Große Weltpolitik in der Arbeit, „weltentrücktes“ Hügelland privat. „Hattingens Altstadt ist entzückend“ – auch wenn sie einsiedelt, kennt sie die Vorzüge ihrer Wahl-Heimat. Dann wieder weite Welt: Ranke-Heinemann bringt sich selbst als Bundespräsidentin ins Gespräch (PDS-Chef Lothar Bisky fragt sie schließlich) – und sagt trotzdem: „Es wäre eine Katastrophe, wenn ich Bundespräsidentin werden würde.“

Reichstag, Berlin, 23. Mai 1999: Nach den Wahlgängen geht bereits um 19.35 Uhr ihr Flieger zurück – und dann ist sie wieder in ihrem heimeligen Hügelland.

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