Hattingen. Pfarrer Ernst Voswinkel kommt 1978 in Hattingen-Bredenscheid an. Er redet sich in der Kirche gerne in Rage und sorgt damit schnell für Aufsehen.

Nicht selten redet sich Ernst Voswinkel auf der Kanzel in Rage. Eckt mit seinen Predigten an, provoziert. Wütet zornig. Er fasziniert auch seine Zuhörer, beispielsweise an diesem 8. Januar 1978, als er zur Probepredigt in der Wichernkirche ist. Die evangelische Gemeinde in Bredenscheid sucht einen Nachfolger für Pfarrer Busch – und der Elan des 31-Jährigen überzeugt das Pres­byterium. Gut zehn Jahre später wird Voswinkel der jüngste Superintendent des Kirchenkreises.

Bredenscheid in den 1980er-Jahren. Hier der Protestant Voswinkel, da der Katholik Sebastian Nieto, ein Spanier, der die Pfarrgemeinde St. Mariä Empfängnis führt. Beide sorgen für volle Kirchen im Hügelland. Beide gewinnen die Gläubigen mit Geschichten für sich. Reden ist ihre Stärke, das Miteinander. Ökumene wird hier gelebt, während woanders nur davon gesprochen wird. „Evangelen und Katholen, gemeinsam auf den Sohlen“, das ist ihr Motto, das auch heute noch im Stadtteil gelebt wird.

„Auf den Glauben kommt es an, nicht auf ein Gebilde“

Ernst Walter Voswinkel ist ein Redner vor dem Herrn. Wortgewaltig predigt er die moderne Kirche. Ja, die Kirche, die sei sein Leben, sagen die Leute. Nein, erwidert er: „Auf den Glauben kommt es an, nicht auf ein Gebilde. Selbst wenn es Kirche irgendwann nicht mehr gibt – Jesus Christus gibt es immer.“ Jeder Mensch sollte sich klar machen, dass er das Wichtigste im Leben geschenkt bekommt, sagt der Mensch Voswinkel. Wichtig sei allein der Glaube.

Ernst Voswinkel
Ernst Voswinkel © Ingrid Breker

Geboren 1946 im Sauerland wird er nach Onkel Ernst und Onkel Walter benannt. Beide sind aus dem Krieg nicht zurückgekehrt, die Großfamilie will mit dem Neuankömmling an sie erinnern. Tante Anna, „die sich ihren kindlichen Glauben bewahrt hat“, bringt ihn auf den Weg. Voswinkel studiert in Wuppertal und Münster, heiratet, bekommt drei Kinder – und findet in Bredenscheid-Stüter seine Heimat. Leben am Gedulderweg, Wirken an der Johannessegener Straße.

„Es muss ein paar Teufelchen geben“

Sein Lachen ist markerschütternd, manchmal auch diabolisch. „In einer Welt von Gut und Böse, von Richtigkeit und Legalisierungszwang, wie sich Deutschland darstellt, muss es, damit ich hier überhaupt leben kann, ein paar Teufelchen geben, die diesen Schwachsinn nicht mitmachen“, sagt er zum Millennium im WAZ-Interview.

Ernst Voswinkel ist Enfant Terri­ble und Eve­rybody’s Darling in einem, ein Menschen­flüsterer. Furcht ist ihm fremd. „Ich schaffe es nicht, im richtigen Moment meinen Mund zu halten“, sagt er. „Ich sitze irgendwo, und wenn etwas passiert, das mir stinkt, sage ich es. Und das hat Folgen, dadurch brocke ich mir viel Arbeit ein.“

Voswinkel hört auf und macht weiter

Nach zehn Jahren Bredenscheid wird er mit 42 Chef im Kirchenkreis, so jung war keiner seiner Vorgänger als Superintendent. 70.000 Gläubige und 1800 Mitarbeiter führt er. Für 400 davon muss er in den Nuller-Jahren betriebsbedingte Kündigungen unterschreiben. „Das hat mein Herz kaputtgemacht“, sagt Ernst Voswinkel. Im Jahr 2006 erleidet er einen schweren Herzinfarkt.

Er hört als Superintendent auf – und macht auf der Kanzel doch weiter. Steht einmal im Monat vorne, predigt, beispielsweise auch in seiner alten Gemeinde in Bredenscheid. Wieder wird das Haus voll, wieder wollen sie seine Geschichten hören. Seine Weisheiten. Für viele ist Voswinkel eine Art moderner Prophet. Was er denkt? „Über jede Predigt werde ich einmal Rechenschaft ablegen müssen. Nicht vor den Menschen, sondern vor Gott – das ist dann meine Sache.“

>>>400 Menschen beim Abschiedsgottesdienst

Nachfolger und Vorgänger: Voswinkel (r.) und Ingo Neserke. Foto: Werner Liesenhoff 18 Jahre lang ist Ernst Vos­winkel Superintendent im Evange­lischen Kirchenkreis Hattingen-Witten. Sein Nachfolger wird Ingo Neserke, der bei Amtsantritt noch zwei Jahre jünger als Voswinkel 1988 ist.

Am 5. September 2015 stirbt er im Alter von 69 Jahren. Mehr als 400 Menschen kommen zum Abschiedsgottesdienst.