Hattingen. Erich Warsitz steuert am 27. August 1939 den ersten Düsenflug der Welt. Der Hattinger arbeitet eng mit dem berühmten Wernher von Braun zusammen.
Der Name Heinkel steht für deutsche Luftfahrt-Geschichte. Die Flugzeugwerke in Rostock und Warnemünde sind in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eines der größten, wenn nicht das größte Unternehmen dieser Art im Land. Der Hattinger Erich Warsitz wird hier in den 1930er-Jahren als Testpilot eingestellt – und er führt am 27. August 1939 mit der Heinkel He 178 den weltweit ersten Düsenflug durch. Sechs Minuten für die Ewigkeit.
Mitten in der Nacht schieben sie die siebeneinhalb Meter kleine, einsitzige Maschine auf die Startbahn des Werksflugplatzes in Marienehe. Mehr Sicherheit soll die He 178 bieten und bis zu 700 km/h schnell sein. Erich Warsitz ist die Ruhe selbst, denn er hat ein paar Wochen zuvor schon die Heinkel He 176 – das erste Flugzeug der Welt, das von einem regelbaren Flüssigkeitsraketentriebwerk angetrieben wurde – gesteuert. Was ihm klar ist: Diese Nacht ist eine besondere, die Aktion ist geheim. Zwei Ansagen gibt es: nicht schneller als 600 km/h fliegen und nur eine Runde um den Flugplatz drehen.
In der Luft dreht Warsitz eine Extrarunde
In der Luft geht die Leidenschaft mit Warsitz durch: Er dreht einfach eine zweite Runde und setzt nach etwa sechs Minuten zur Landung an. Alles sicher, der Jubel ist groß. Noch in der Nacht wird in einem Casino der Flug gefeiert. Bis zum Sommer 1940 (Jungfernflug der DFS 194 mit Raketenantrieb unter Heini Dittmar) bleibt er der einzige Pilot eines strahlgetriebenen Flugzeugs.
Erich Warsitz wird am 18. Oktober 1906 in Hattingen geboren. Er baut am Realgymnasium, dem heutigen Gymnasium Waldstraße, sein Abitur, ist fasziniert vom Fliegen. Der Blondschopf sammelt Flugscheine wie andere Briefmarken; erst in Bonn, später in Berlin.
Im Jahr 1934 kommt er zur Luftwaffenerprobungsstelle Rechlin, wo der Pionier quasi jeden neuen Prototypen zur Probe fliegt. Er riskiert dabei ein ums andere Mal sein Leben, beweist aber auch seine Klasse, weil es nie zu einem Unfall kommt. Warsitz arbeitet Seite an Seite mit dem Entwickler der Raketentriebwerke, Wernher von Braun, zusammen. 1939 wird sein Jahr: Erst der „Raketen“-Flug mit der He 176 am 20. Juni; dann die He 178 am 27. August. Ein neues Zeitalter in der Luftfahrt-Geschichte war eingeläutet.
Mehr als ein Jahr lang flugunfähig
Das Aus seiner Fliegerkarriere kommt im Jahr 1942. Beim Flug mit einer Messerschmitt Bf 109 gibt es einen schweren Unfall, der Erich Warsitz für mehr als ein Jahr flugunfähig macht. Deshalb entschließt er sich, die Leitung des elterlichen Betriebs zu übernehmen und gründet die Warsitz-Werke in Amsterdam. Hier stellt er mit höchster Präzision feinmechanische Einzelteile her.
Sein Leben bleibt indes aufregend: In der Nacht auf den 6. Dezember 1945 wird er von vier sowjetischen Offizieren entführt. Er wird verhört, immer wieder geht es um Raketen- und Düsenflugzeugentwicklungen. Fünf Jahre soll er an der Entwicklung auf seinem Spezialgebiet helfen. Aber: Erich Warsitz macht nicht mit, wird zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und nach Sibirien ins Straflager 7525/13 (Prokopjewsk) gebracht. Eine elende Zeit beginnt.
1950 kommt er frei, kehrt in die Region seiner Heimat Hattingen zurück und gründet eine Maschinenfabrik. Im Ruhestand zieht mit seiner Familie in die Schweiz, wo er bis zu seinem Tod 1983 in Lugano lebt.
Seine „legendären Flug-Kompetenzen“, wie sie immer wieder von den Briten gelobt werden, und seine Leidenschaft hat Spuren hinterlassen. Denn auch Sohn Lutz wird Pilot und fliegt Düsenjets. Bei seinem Premierenflug hat er einen prominenten Passagier an Bord: Vater Erich.