Hattingen. . Die Zahl der Inobhutnahmen durch das Hattinger Jugendamt hat sich seit 2013 verachtfacht. Die Stadt versucht, Hilfen für Familien zu finden.

Eine dramatische Entwicklung ist im Bereich Familie zu beobachten. 2013 nahm das Jugendamt zwölf Kinder aus dem Elternhaus heraus. Kosten: 24 991 Euro. „2017 gab es bereits 96 Inobhutnahmen zum Schutz der Kinder mit einem Kostenpunkt von 166 450 Euro“, berichtet Egbert Willecke, Fachbereichsleiter Jugend, Schule, Sport. Mal nur für einen Tag, mal für ei­nige Wochen, selten für immer. Tendenz steigend.

„Das ist keine Willkür, wir haben einen gesetzlichen Auftrag“, sagt Willecke. Jeder, der darum bittet, muss vom Jugendamt aufgenommen werden, auch, wenn die Eltern widersprechen. „Wenn das Kindeswohl gefährdet ist, Missstände wie Missbrauch, Gewalt oder Verwahrlosung vorgefunden werden, dann müssen wir handeln“, erklärt Abteilungsleiterin Juliane Lubisch. „Wir reden nicht darüber, dass Töpfe drei Tage lang nicht gespült worden sind. Wir reden darüber, dass einem Kakerlaken entgegenkommen, sich Maden in der Küche befinden oder die Wohnung mit Katzen- oder Hundekot übersät ist.“

Schnelles Handeln wenn Babys vernachlässigt werden

Ganz besonders schnelles Handeln ist geboten, wenn Babys in einer Familie leben, die nicht darauf achtet, dass das Kleine regelmäßig mit Essen und Trinken versorgt wird. Da kann es schnell lebensgefährlich werden. Beim Jugendamt läuft die Hilfe nach einem standardisierten Verfahren ab, so Willecke. Es kommt eine Meldung über einen Missstand von Nachbarn, Schule, Kita. „Bei Kindern unter drei Jahren reagieren wir umgehend.“ Generell gilt das Vier- oder Sechs-Augen-Prinzip, das Vorgehen wird besprochen.

Es gebe verschiedene Möglichkeiten zu reagieren. „Wenn Eltern mit der Erziehung überfordert sind, versucht das Amt, einen Partner zu finden, der kooperiert und der Familie unterstützend hilft. Das kann die Oma oder eine Tante sein“, schildert Juliane Lubisch.

Vielfältige Gründe für Probleme

Wichtig sei immer, dass man eine akute Situation, die zum Schaden des Kindes ist, abwehre. Dann aber müsse die Frage beantwortet werden: Was braucht die Familie an Hilfe? Lubisch: „Ein Kind aus einer Familie rauszunehmen, ist immer eine Entscheidung, die sich auf das ganze Leben auswirkt. Wann immer es geht, versuchen wir, die Familien so zu stabilisieren und Hilfen anzubieten, dass die Kinder dort bleiben können.“

Egbert Willecke und Juliane Lubisch sprechen über die immer größer werdende Zahl von Kindern, die aus ihren Familien geholt werden müssen.
Egbert Willecke und Juliane Lubisch sprechen über die immer größer werdende Zahl von Kindern, die aus ihren Familien geholt werden müssen. © Sabrina Didschuneit

Das kann auch dauerhaft sein, indem zum Beispiel der Soziale Dienst eine Familie regelmäßig begleitet. „Wir wollen sie auf eigene Beine stellen“, beschreibt Juliane Lubisch das Ziel des Jugendamtes. Eltern und Kindern soll gezeigt werden, dass es viele Strukturen in der Gesellschaft gibt, die die Kinder weiterbringen – wie ein Offene-Tür-Treff oder ein Sportverein.

Die Gründe für Probleme sind vielfältig. „In manchen Kulturen ist es üblich, seine Kinder mit Schlägen zu erziehen, in Deutschland ist das verboten. Das muss man den Eltern oft erst beibringen“, erklärt Egbert Willecke. „Es gibt zunehmend überforderte, psychisch kranke Eltern und fettleibige oder magersüchtige Kinder.“ Symptome dafür, dass etwas schief läuft. Der Leistungsdruck auf die Kinder werde immer größer und „der respektvolle Umgang ist in den letzten Jahren abhanden gekommen“, stellt Willecke fest. Folge: Die Zahl der Inobhutnahmen steigt ständig, die Kosten dadurch natürlich auch. Auch 2018 rechnet die Stadt mit weiter steigenden Zahlen.

>>> Offene Sprechstunde und Kontakt

Eine Jugendsprechstunde bietet die Stadt jeden ersten Donnerstag im Monat von 16 bis 18 Uhr an der Bahnhofstraße 51 an. Eine Anmeldung ist nicht nötig.

Die Mitarbeiter der Erziehungsberatungsstelle sind erreichbar unter erziehungsberatung@hattingen.de oder 243 06.