Hattingen. . Am Mittag ist der Friedhof in Holthausen nahezu verlassen. Zu hören sind nur das Zwitschern der Vögel und das Rauschen der nahen Straße.
Einsamkeit, Stille – niemand ist da, der in der Mittagszeit die Toten auf dem Friedhof in Holthausen stört. Einzig das ewige Rauschen des Verkehrs der Holthauser Straße verrät das Leben, das sich hinter den Hecken und vor dem Tor der Ruhestätte abspielt.
Die Vögel haben mit einem beständigen Zwitschern den Friedhof für sich erobert: Ein Amselmännchen pickt neben einem Grab an einem Zweig. Eine Krähe, pechschwarz wie die Nacht, hüpft über die Wiese – bevor sie abhebt und in einem großen Bogen über die Kapelle Richtung eines Baumes fliegt, sich auf einem Zweig niederlässt, um das Geschehen von oben zu beobachten.
Ein Windstoß wiegt die Äste der Bäume hin und her. Das stete Rauschen vermengt sich mit dem Rauschen des Verkehrs. Brandet auf, ebbt wieder ab, bevor es durch den nächsten Windstoß wieder aufbrandet. Die Krähe schreit. Gelbe Gießkannen, an Haken baumelnd, schlagen mit einem Klacken aneinander.
Eine einzige Besucherin
Eine Frau mit knallroter Jacke und weißer Hose schleicht sich aus dem Nichts Richtung Müllkörbe, wirft Grünabfall hinein. Sie schaut verstohlen zur Seite und macht sich flink auf in Richtung Seitenausgang. Hastet durch das Stahltor. Das Schloss knackt laut beim Einrasten. Die Tür ihres Autos schlägt zu. Ein kurzes Aufheulen des Motors – schon ist die Frau wieder verschwunden.
Die Gräber haben ihre Einsamkeit zurück. Nahe des Eingangs ein modernes Konstrukt mit Metall. In Wellen und Kreisen umschlingt es den Torf. Grenzt den nahezu schneeweißen Kiesel von der fast schwarzen Erde ab. Eine Schale mit pinkfarbenen Blüten bildet den einzigen Farbklecks. Etwas weiter den Weg hinunter der Kontrast: Ein einsames, kleines und verwittertes Kreuz trotzt dem Verfall. Das Holz ist grau und rissig. Der um das Kreuz gestreute Rindenmulch bedeckt von vertrockneten Blättern.
Wummern von der Straße
Mit lautem wummernden Bass fährt ein Auto am Friedhof vorbei. Eine Frau steht beim Spaziergang mit ihrem Hund unschlüssig am Tor. Sie schaut auf die Gräber. Ihr Hund zieht an der Leine, weg von der Ruhestätte. Die Frau ergibt sich ihrem Haustier, dreht um und verschwindet hinter den Büschen.
Plötzlich absolute Stille: Kein Auto, das über die Holthauser Straße fährt, kein Rauschen des Windes, kein Vogelgezwitscher. Ein Hochdruckreiniger im Wohngebiet auf der anderen Straßenseite unterbricht den Moment jäh. Kreischt und heult störend. Der Verkehrslärm brandet wieder auf. Die Ampelanlage vor dem Friedhof klackt rhythmisch als Zeichen dafür, dass ein Fußgänger die Straße queren möchte.
Der Wind kommt zurück. Das Rauschen der Ahornbäume vor der Friedhofskapelle ist für einen Moment so laut, dass er selbst das Geräusch des Reinigungsgerätes erstickt. Die gelben Gießkannen stoßen wild aneinander. Ein Wassertropfen löst sich und klatscht auf den Boden. Die Trauerweide neben der Kapelle wiegt sich im Wind. Die Krähe kreischt.