Jahr für Jahr verlassen zahlreiche Katholiken die Kirche. Das Ruhrbistum suchte das Gespräch mit Ausgetretenen und legt eine Studie dazu vor.
Warum verlassen immer mehr Menschen die Kirche, wie kann man sie halten: Diese Fragen will eine neue Studie beantworten, die im Auftrag des Ruhrbistums erstellt worden ist. Was die Herausgeber dabei überrascht hat, ist die große Bereitwilligkeit, mit der die Ex-Katholiken erzählten. „Viele waren froh, dass sie endlich mal jemand nach ihren Motiven fragt“, sagt Thomas Rünker aus der Pressestelle.
Das zeigte sich schon bei einer Online-Befragung des Bistums, die im vergangenen Jahr 3000 Teilnehmer erreichte. Gut 1140 von ihnen nutzten ein freies Textfeld, um Anmerkungen zu machen. Ein erstaunlicher Redebedarf offenbarte sich da, den die Kirche bislang offenbar nicht bedient. Zwar erhalte seit längerem jeder Ausgetretene einen Brief des Pfarrers, so Rünker, „doch der ist sehr formal gehalten“.
Von Skandalen und Enttäuschungen
Um eine echte Kontaktaufnahme bemühte sich Rünker gemeinsam mit Regina Laudage-Kleeberg, die die Abteilung Kinder und Jugend im Bistum leitet, und Markus Etscheid-Stams, persönlicher Referent von Generalvikar Klaus Pfeffer. Seit 2015 hatten sich die drei in der „Initiative für den Verbleib in der Kirche“ engagiert, nun begaben sie sich auf Spurensuche; „auch weil es quasi keine wissenschaftlichen Arbeiten zu Kirchenaustritten gibt“, wie Rünker sagt. Sie kontaktierten die rund 400 Teilnehmer der Online-Befragung, die die Kirche bereits verlassen hatten, sprachen andere Abtrünnige an.
Die beteiligten Wissenschaftler wählten gut 40 repräsentative Kandidaten aus, die sie interviewten. Dabei wurde klar, dass die Kirchensteuer oder eine Skandal-Meldung meist nur letzter Anlass für einen Austritt sind. Oft gehen dem Bruch eine längere Entfremdung oder persönliche Enttäuschung voraus. „Wirklich getroffen sind die Menschen, wenn es für die Beerdigung der Oma keinen Termin am Samstag gibt“, sagt Markus Etscheid-Stams. Auch wenn weniger als zehn Prozent der Katholiken regelmäßig sonntags in die Messe gehen: Wenn sie mal ein Anliegen hätten, erwarteten sie, dass darauf eingegangen werde.
Etscheid-Stams spricht hier von einem Kosten-Nutzen-Kalkül, mit dem Gläubige der Kirche begegneten. „Sie haben einen hohen Anspruch an uns als theologischen Dienstleister, den wir ruhig einlösen sollten, denn Kirche hat etwas Dienendes.“ Also empfehlen die Buchautoren der Kirche, besser erreichbar zu sein und die Qualität der Seelsorge zu verbessern – auch durch neue Formate für persönliche Trau- oder Tauf-Gottesdienste. Auch müssten bestehende katholische Angebote sichtbarer gemacht werden. Man müsse sich auch jenen zuwenden, die diese Angebote wenig nutzen, „sie aber durch ihre Kirchensteuern mitfinanzieren“.
Denn natürlich gibt es auch auf kirchlicher Seite ein Kosten-Kalkül, können sinkende Einnahmen zur Existenzfrage werden. Auch in Hattingen müssen Kirchen oder Gemeindehäuser aufgegeben werden. In die Studie fließen die damit verbundenen Verwerfungen nicht ein, die Herausgeber wollen ohnehin grundsätzlichere Antworten geben.
Unbestreitbar sei etwa, dass viele Katholiken mit der rückständigen Sexualmoral hadern. „Aber muss sich jedes Kirchenmitglied dem auch hundertprozentig verschreiben?“, fragt Rünker. Mehr inhaltliche Offenheit, mehr Freiheit bei der Teilhabe – damit komme man vielleicht auch jener Gruppe der 25- bis 35-Jährigen entgegen, die sich besonders von der Kirche abwendet. Wie schreibt Generalvikar Pfeffer im Vorwort: „Es kann nicht sein, dass uns in der Kirche völlig egal ist, wenn eine erschreckend hohe Zahl Katholiken enttäuscht, frustriert oder gar zornig zum Amtsgericht geht, um den Austritt zu erklären.“ Auch darum regt Etscheid-Stams ein Beschwerdemanagement an.