Ulrike Tenbensel ist hochgradig schwerhörig. Mit Hörgeräten empfand sie Musik als Störgeräusch. Zwei kleine Cochlea-Implantate änderten das.
„Als ich zum ersten Mal mit meiner Tochter ein Weihnachtskonzert gehört habe, musste ich weinen“, erinnert sich Ulrike Tenbensel. Ein kleines Cochlea-Implantat hat ihr diesen emotionalen Moment in der Hamburger Michaelis Kirche ermöglicht. Seither nimmt die 67-Jährige, die bereits seit ihrer Kindheit hochgradig schwerhörig ist, ihre Umgebung deutlicher wahr.
Kleines Implantat, große Wirkung
Die Geräte hinter Ulrike Tenbensels Ohr sind etwas größer als ein Hörgerät. Das eigentliche Implantat sitzt unter der Kopfhaut. Kleines Implantat, große Wirkung. Von dort aus werden elektrische Ströme ins Ohr geleitet. Diese Impulse reizen in der Cochlea, auch Schnecke genannt, den Hörnerv. Es entstehen Töne. „Ein normales Hörgerät reicht bei mir nicht mehr aus. Wenn ich die Implantate rausnehme, bin ich taub.“
Angefangen hat alles in der Kindheit. Aus ungeklärten Gründen verschlechterte sich das Gehör des Mädchens, bis sie nichts mehr verstand. Ihre vier Geschwister hörten ganz normal. „Ich bin oft außen vor gewesen. Doch man lernt, die Behinderung so gut es geht zu kompensieren.“ In der Adventszeit verbrachte sie viel Zeit damit, Weihnachtslieder auswendig zu lernen. Die Texte konnte sie sich spielend leicht merken, nur die Melodie bereitete Probleme. „Mein Gesang war schrecklich“, erinnert sie sich.
Musik macht sie glücklich
Mit elf bekam sie dann ihr erstes Hörgerät. „Damit habe ich Musik und Gesang nur noch als Störgeräusche empfunden. Ich musste mich auf den Sprecher konzentrieren, und dabei waren solche Nebengeräusche nicht hilfreich“, beschreibt die Leiterin der Selbsthilfegruppe für Schwerhörige, Ertaubte und CI-Träger. Sie zog sich immer mehr zurück, mied Konzerte und Veranstaltungen mit vielen Menschen.
Ende 2012 wurde Tenbensel das erste Cochlea-Implantat eingesetzt. Doch die Weihnachtszeit blieb stumm. Erst nach dem Heilungsprozess, im Januar 2013, konnte das Gerät eingeschaltet werden. „Ich habe mich erschrocken, wie laut die Welt eigentlich ist“, beschreibt sie. Bei der Autofahrt nach Hause habe sie sich nicht getraut, Gas zu geben, weil das Geräusch unangenehm war. Gezieltes Hörtraining hilft ihr, mit neuen Situationen umzugehen. „Die Ohren daran zu gewöhnen, ist ein langwieriger Prozess. Doch ich verändere mich auch. Heute traue ich mich, Leute anzusprechen und selbstbewusst auf sie zuzugehen.“
Von einen Konzert muss sie sich oft erhole
Mittlerweile trägt die 67-Jährige zwei solcher Implantate und holt vieles von dem nach, was sie bisher verpasst hat. Dazu gehört vor allen Dingen Musik in allen Variationen. Jetzt gerade landet die ein oder andere Weihnachts-Platte im Spieler. „Musik entspannt und macht glücklich. Obwohl ich mich nach einem Konzert oft erholen muss.“ Die vielen Klänge im Gehirn zu verarbeiten, strengt an. Jedes noch so leise Instrument kann sie aus der Menge heraus hören. Das feine Gehör ist gerade auf dem Weihnachtsmarkt ein Nachteil. „Es prasseln dort so viele Geräusche auf mich ein. Große Märkte meide ich. Die kleineren finde ich allerdings sehr schön“, so Tenbensel.
Einen Nachteil hat die Adventszeit für Schwerhörige und Ertaubte: Sie ist eng mit Dunkelheit verknüpft. Da die geschädigten Ohren den Gleichgewichtssinn nicht steuern können, „torkele ich durch die Gegend“, so Tenbensel. „Könnte ich die Adventszeit in den Sommer legen, würde ich’s tun.“ Weihnachten verbringt sie in diesem Jahr übrigens wieder bei der Tochter in Hamburg. Ein besonderes Geschenk ist schon gebucht: Beide hören sich ein Weihnachtskonzert in der Elbphilharmonie an.