Hattingen. . In der Hattinger Stadtbibliothek liest die Schauspielerin Anja Bilabel Erzählungen von Bram Stoker, Roald Dahl und Edgar Allan Poe.
Als es Mitternacht schlägt, tritt eine seltsame Gestalt in den Raum. Lang und hager ist sie, von oben bis unten in Leichentücher gehüllt. Das Gewand ist blutbefleckt. Die Maske, die das Gesicht verbirgt, sieht aus wie das Antlitz eines Toten. Alle Besucher des Maskenballs sind auf einmal wie erstarrt. Die meisten tragen glitzernde, prunkvolle, farbenfrohe Masken. Der Anblick einer so düsteren Erscheinung jagt den Gästen einen Schauer über den Rücken.
Auch ich bekomme eine Gänsehaut. Ich sitze in der Stadtbibliothek und höre Anja Bilabel bei ihrer Lesung zu. Drei Schauermärchen trägt sie an diesem Abend vor rund 40 Besuchern vor. Unter dem Motto „Nachtgäste“ gibt Bilabel unheimliche Kurzgeschichten von Roald Dahl, Bram Stoker und Edgar Allan Poe zum Besten. Wie gebannt hängen die Zuhörer an ihren Lippen. Zwischendurch ertönen die zarten Klänge einer Harfe, die Harfenistin Verena Volkmer geschickt einbaut.
Die seltsame Gestalt mit dem blutbesudelten Gewand
Die seltsame Gestalt mit dem blutbesudelten Gewand und der gruseligen Maske stammt aus der Erzählung „Die Maske des roten Todes“ des britischen Autors Edgar Allan Poe. Die Geschichte spielt vor langer Zeit, als die Pest das Land beherrschte. „Blut ist der Anfang, Blut ist das Ende“, liest Bilabel. Dabei verstellt sie ihre Stimme, sie klingt bedrohlich und rau. Es fühlt sich an, als würden die Figuren zum Leben erwachen. Ich fühle mich zurück ins 14. Jahrhundert versetzt, sehe das Elend, das die Pest verursacht hat, und tauche in die Erzählung ein.
Die rauschenden Feste des jungen Königs Prospero sind bekannt. Obwohl die Pest draußen einen nach dem anderen dahinrafft, ist die Stimmung beim Maskenball im Schloss ausgelassen. Als sie ihren Höhepunkt erreicht hat, tritt die verhüllte Gestalt in den Raum. Einige Gäste reißen der Gestalt die Maske herunter. Doch darunter ist es leer. Der „rote Tod“ – so bezeichnet Poe die Seuche – hatte sich persönlich Einlass zu der Feier verschafft.
Ähnlich wie die von Poe sind auch die beiden anderen Geschichten zum Fürchten. So erzählt Stoker in „Darculas Gast“ von merkwürdigen Vorkommnissen und mystischen Erscheinungen in der Walpurgisnacht. In Dahls „The Landlady“ lebt eine seltsame Dame in einem Haus voller ausgestopfter Tiere. Zuhörerin Elfi Sang (81) ist begeistert. „Die Lesung hat mir unwahrscheinlich gut gefallen. Vor allem in Kombination mit der Harfe“, erzählt sie.