Hattingen. . Persönliche Enttäuschungen sind für einen Kirchenaustritt oft ausschlaggebender als große Skandale. Das besagt eine Studie mit 3000 Teilnehmern.
- Bei einer Online-Befragung des Bistums haben 3000 Teilnehmer Auskunft über ihr Verhältnis zur Kirche gegeben
- 15 Prozent der Studien-Teilnehmer sind bereits aus der Kirche ausgetreten. Skandale und Steuern sind nur letzte Anlässe
- Der endgültigen Abkehr von der Kirche gehe eine längere Entfremdung voran, sagt ein beteiligter Wissenschaftler
Manchmal ist es ein Skandal, manchmal geht es um die Steuern. Als Erklärung für Austrittszahlen mögen solche Ereignisse genügen. Wieso aber verabschieden sich auch in ruhigen Jahren zahlreiche Katholiken aus der Kirche? Das Bistum legt jetzt erste Ergebnisse einer groß angelegten Studie dazu vor. Demnach gehe es nicht nur um Geld, sondern oft um „Entfremdung“ und „fehlende Bindung“.
So formuliert es der Religionspädagoge Ulrich Riegel von der Uni Siegen, der als einer der beteiligten Forscher vom Bistums-Magazin Bene interviewt wurde. Die Kirche werde von vielen der Ausgetretenen als „Institution erlebt, die aus Machtinteressen und Ränkespielen besteht“. Sie werde als unglaubwürdig wahrgenommen, weil „die Botschaften und das Verhalten von Kirchenvertretern auseinanderlaufen“. Eine solche Abkehr entwickle sich längerfristig, die „Kirchensteuer oder ein konkretes persönliches Ereignis“ seien dann nur noch der Anlass für den Austritt.
Aus Entfremdung wird schwerwiegende Enttäuschung
Besonders wo es um Lebenskrisen gehe, werde aus der Entfremdung oft eine schwerwiegende Enttäuschung, sagt Riegel. „Wie bei der Mutter, deren Kind vor der Taufe verstarb und wo der Pfarrer in der Trauerbegleitung versagte.“
In einer Institution, die Barmherzigkeit zu ihrem Markenkern zählt, scheint ein solches Versagen kaum verzeihlich zu sein. Doch Thomas Rünker, der die „Initiative für den Verbleib in der Kirche“ leitet, wirbt um Verständnis: „Unsere hauptberuflichen Seelsorger stehen unter einem großen Druck, weil sie einerseits verschiedene Orte bespielen müssen und sich andererseits einer hohen seelsorgerischen Erwartung der Gläubigen gegenüber sehen.“
Kirche will sich Ansprüche bewusst machen
Das Bedürfnis, beim Pfarrer Anteilnahme zu finden, sollte beantwortet werden, so Rünker: „Gerade in Krisensituationen wie einem Trauerfall ist diese Erwartung menschlich sehr nachvollziehbar, da die Betroffenen besonders verletzlich sind. Aber auch bei schönen Ereignissen – etwa einer Hochzeit – haben die Menschen heute sehr individuelle Ansprüche an die Kirche. Wollen wir die Menschen an uns binden, müssen wir uns diese Ansprüche bewusst machen.“
Ulrich Riegel spricht von einem „Kosten-Nutzen-Kalkül“: Da werde die schöne Trauung als positiv verbucht, die lieblose Firmvorbereitung „ohne Glaubensfreude“ lasse einen Vater aber folgern: „Das reicht, jetzt ist Schluss.“ Solche Erfahrungen seien oft ausschlaggebender für den Austritt als Reizthemen wie Zölibat, Frauenbild oder Umgang mit Homosexualität, die als Beleg für eine nicht mehr zeitgemäße Kirche herhalten müssen.
Mehr als 3000 Teilnehmer an der Online-Umfrage
Als Erfolg wertet Thomas Rünker, dass bei der Befragung jetzt auch Ex-Katholiken ihr Verhältnis zur Kirche schilderten. „Es hat uns erstaunt, dass in einem Zeitraum von nur sechs Wochen mehr als 3000 Menschen an unserer Online-Befragung teilgenommen haben – darunter 15 Prozent, die die Kirche bereits verlassen haben.“
Auf der Tatsache, dass die Austrittszahlen zuletzt zurückgingen, will sich Rünkers Team nicht ausruhen. Im vergangenen Jahr verließen 130 Katholiken in Hattingen die Kirche, 2015 waren es noch 140. Die Gründe dafür will man weiter erforschen, gleichzeitig geht man auf Wünsche der Gläubigen ein. Zum Beispiel komme man Paaren, die nicht in ihrer Heimatgemeinde heiraten mögen, entgegen. Rünker: „Bisher ist es kompliziert, die Heirat in der Wunschkirche zu organisieren. Das wollen wir erleichtern, darum bauen wir ein Team auf, das die Brautpaare hier berät und konkrete Hilfestellung leistet.“ Bei solchen Feiern habe die Kirche eine Monopolstellung, mit der sie punkten könne, sagt Riegel. Als Theologe frage er auch: „Bis zu welchem Punkt kann ich mich anpassen, ohne meine eigene Idee zu verraten?“