Hattingen. Hattinger Homosexuelle freuen sich über Entscheidung. In einem offenen Brief gibt es aber auch Kritik am Nein des Abgeordneten Ralf Brauksiepe.
- Eine halbe Stunde nach der Bundestags-Entscheidung ging im Standesamt die erste E-Mail ein
- Bis November wüssten die Standesämter im Lande über das Prozedere Bescheid, glaubt die Leiterin
- In Hattingen wurden seit 2001 insgesamt 85 Lebenspartnerschaften eingetragen, davon zwei in diesem Jahr
Das Ja des Bundestages zur „Ehe für alle“ war noch keine halbe Stunde alt, da ging beim Hattinger Standesbeamten Thomas Wolf bereits die erste E-Mail eines verpartnerten Paares ein, wenige Minuten später folgte die nächste. „Hey, wir haben gerade die Sektkorken knallen lassen“, hieß es in den Schreiben. Und: „Es gibt jetzt ja bald ein freudiges Wiedersehen.“ Doch einen Termin zur Eheschließung zu reservieren, wie es die homosexuellen Paare in den Mails ebenfalls erklärten, ist derzeit noch nicht möglich. Schließlich gibt es, so Wolf, bislang noch „keine gesetzliche Grundlage und keine Handreichung für die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare“.
Dass dies allerdings nur eine Frage der Zeit sein wird, darin ist sich Angelika Beinroth, Leiterin des Standesamtes, sicher. Bis November wüssten die Standesämter im Lande über das Prozedere Bescheid, glaubt sie. Noch aber stellen sich auch den Beschäftigten dort viele Fragen. Darunter diese: Wie stark wird die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare überhaupt nachgefragt werden? „Wir wissen nicht, was uns nach dieser Hauruck-Entscheidung des Bundestages wirklich erwartet“, sagt beispielsweise Thomas Wolf.
Standesbeamte begrüßen das Ja
Er begrüßt dabei ebenso wie seine Chefin das Ja zur „Ehe für alle“. Diese gehöre zu unserer heutigen Gesellschaft dazu. Gleichgeschlechtliche Paare, die eine Lebenspartnerschaft begründen, so der Standesbeamte, wollten immer das Gleiche wie Eheleute. „Nun haben sie dasselbe.“
Große Freude hat das Ja der Politik zur „Ehe für alle“ unterdessen bei Schwulen und Lesben in Hattingen ausgelöst. „Das ist wunderbar“, fasste etwa Buchautorin und Hundetrainerin Mirjam Müntefering, die mit ihrer Partnerin 2009 eine Lebenspartnerschaft einging, ihre Gefühle in Worte.
Auch Musical-Star Paul Kribbe freut sich, dass Deutschland in der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungen „anderen modernen Gesellschaften nun nicht mehr hinterherhinkt“. Mit seinem Partner schloss er vor sieben Jahren in den Niederlanden die Ehe, hier dagegen ist er bislang rechtlich nur verpartnert.
„Überfällige Entscheidung der Politik“
Helfried Waleczek schließlich, Chefarzt der Chirurgischen Klinik am Evangelischen Krankenhaus, spricht sogar von „einer überfälligen Entscheidung“ der Politik. Zumal die Gesellschaft hier „schon viel weiter war“.
Nicht zuletzt daher nennt Christian Siever das Ja des Bundestages zur „Ehe für alle“ einen „großartigen Tag für Schwule und Lesben, für die Gleichstellung in Deutschland“. Unser Grundgesetz sei damit „in einen modernen Kontext geführt“ worden. Umso mehr enttäuscht ihn als Homosexuellen, „der Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt aufgrund seiner Sexualität erfahren hat“, das Nein mancher Politiker. An den heimischen Bundestagsabgeordneten Dr. Ralf Brauksiepe, der „als Christdemokrat gegen Liebe und Gleichstellung gestimmt“ habe, hat er sogar einen offenen Brief geschrieben: „Wie“, fragt er darin, „können sie sowas mit ihren christlichen Werten der Nächstenliebe nur vereinbaren?“
Mögliche Klage gegen das Gesetz
Während Siever noch nie vor den Standesbeamten getreten ist, wollen viele Homosexuelle, die in einer Lebenspartnerschaft leben, erst einmal abwarten, ob sie aus dieser eine richtige Ehe machen. Darunter auch Helfried Waleczek. Zu einer möglichen Klage gegen das Gesetz zur „Ehe für alle“ vor dem Bundesverfassungsgericht hat er derweil eine klare Meinung: „Ich hoffe, dass Deutschland sich nicht lächerlich macht.“
>> 85 PARTNERSCHAFTEN IN HATTINGEN EINGETRAGEN
Seit August 2001 können homosexuelle Paare ihre Lebenspartnerschaft eintragen lassen. Diese Paare wurden bis heute in vielen Fragen verheirateten heterosexuellen Paaren gleichgestellt, etwa bei der Unterhaltspflicht, beim Ehegattensplitting und im Erbrecht.
In Hattingen wurden seit 2001 insgesamt 85 Lebenspartnerschaften eingetragen, darunter bislang zwei in diesem Jahr, weitere drei waren angemeldet. Die meisten Lebenspartnerschaften begründet wurden in den vergangenen zwei Jahren (2016: 12; 2015: 11).
Mit der „Ehe für alle“ ändert sich praktisch in erster Linie, dass homosexuelle Paare das Recht haben, gemeinsam Kinder zu adoptieren. Den Befürwortern geht es aber auch um das Symbol einer echten Gleichstellung von Hetero- und Homosexuellen. Verpartnerte Paare, die heiraten wollen, müssen dafür gemeinsam erneut vor einen Standesbeamten treten, sie können aber auch ihre Lebenspartnerschaft weiterführen.
Neue Lebenspartnerschaften können nicht mehr geschlossen werden, sobald das Gesetz zur „Ehe für alle“ in Kraft getreten ist.