Hattingen. . WAZ-Redakteurin Sabine Kruse lässt Leser teilhaben an ihren Gedanken beim Spaziergang über den Friedhof in Blankenstein.

  • Ein weithin sichtbares Kreuz mit Inschrift Memento Mori macht die eigene Vergänglichkeit sehr bewusst
  • Die Gestaltung der Gräber reicht von durchgestylt über schlicht gehalten bis hin zu vernachlässigt
  • Eine Holzbank lädt zum Verweilen ein und ermöglicht einen schönen Blick auf den Friedhof

Direkt vor meinen Füßen huscht ein Eichhörnchen über den Weg, von weitem sehe ich eine Frau bedächtigen Schrittes zwischen Gräberreihen hergehen, zwei weitere, die gemeinsam mit einem Mann ein Grab mit frischer Erika bepflanzen.

Ohne Hektik und nur leise redend – so, als wollten sie die hier Ruhenden nicht stören. Mit diesen Eindrücken beginnt an diesem nass-kalten Novembermorgen mein Besuch des Friedhofs in Blankenstein. Nein, hier ruht niemand meiner Verwandten, auch niemand, den ich persönlich gekannt habe. Ich besuche diese letzte Ruhestätte vielmehr, weil ich wissen möchte, was die ungewohnte Stille hier mit mir macht.

Memento Mori steht unter diesem Kreuz mit dem gekreuzigten Jesus.
Memento Mori steht unter diesem Kreuz mit dem gekreuzigten Jesus. © Walter Fischer

„Stille ist ein Schweigen, das den Menschen Augen und Ohren öffnet für eine andere Welt.“
(Serge Poliakoff)

Mein Gang über den Friedhof führt mich zunächst zu einem meterhohen Steinkreuz mit gekreuzigtem Jesus, das ich schon von weitem gesehen habe. „Memento mori“ mahnt die Inschrift darunter – denke daran, dass du sterben wirst. Es ist dies das Symbol der Vanitas, der Vergänglichkeit sämtlichen irdischen Lebens. Wo sonst, denke ich, könnte diese einem bewusster werden als auf einem Friedhof?

„Wenn wir aus dieser Welt durch Sterben uns begeben, so lassen wir den Ort, wir lassen nicht das Leben.“
(Nikolaus Lenau)

Ich lasse meine Blicke über die Gräber schweifen. Wie verschieden diese doch gestaltet sind! Bis ins Detail durchgestylte Grabstätten finden sich hier ebenso wie sehr schlicht gehaltene – und einige wenige, die so aussehen, als kümmere sich niemand mehr um sie. Auf manche Gräber haben dem Verstorbenen Nahestehende Herzen gelegt, auch Kiesel, Kastanien, kleine Engel.

Manche Steine, Stelen, Findlinge halten die Eckdaten langer, kurzer und allzu kurzer Leben fest, auf anderen steht allein ein (Nach)-Name – wenn überhaupt. Und auf einem Stein ganz am Ende des Friedhofes – unweit des „Belvedere“ im angrenzenden Gethmannschen Garten – finden sich weder Vor- noch Nach- noch Kosename, auf diesem erinnert einzig ein Psalm: „Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“

„Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.“
(Bertolt Brecht)

Auf einer feuchten Holzbank, unter einem Baum, nehme ich Platz. Das Laub am Boden raschelt vom Wind, auch das Rauschen der Ruhr ist zu hören und das Zwitschern eines Vogels irgendwo in der Nähe. Ich denke nach. Über das Leben. Und über den Tod. Wer wird sich später an dich erinnern, frage ich mich. Und überlege, wo und wie ich mir wohl meine letzte Ruhestätte wünschen würde. Doch muss ich mir ehrlich eingestehen: Ich weiß es nicht. Aber habe ich mit meinen 48 Jahren nicht auch noch Zeit . . .?


„Nichts ist gewisser als der Tod, nichts ist ungewisser als seine Stunde.“
(Anselm von Canterbury)

Unterschiedlich geschmückt sind die Grabstätten auf dem Friedhof in Blankenstein.
Unterschiedlich geschmückt sind die Grabstätten auf dem Friedhof in Blankenstein. © Walter Fischer

In der Ferne sehe ich ein ­weiß-schwarzes Windrad. Als ich vor dem Grab stehe, in das jemand den Holzstil gesteckt hat, lese ich auf einem Findling den Namen ­„Nicola“ und auf der Schleife eines Gesteckes die Worte: „Für unsere Mama“. Es stehen keine ­Lebensdaten auf dem Findling, und doch denke ich unwillkürlich ­darüber nach, wie alt Nicola war; und wie alt wohl ihre Kinder sein mögen.

Ich erinnere mich an meine eigene Mutter, deren Leben mit nicht einmal 47 Jahren jäh zu Ende war. Jedes Mal, wenn ich an ihrem Grab stehe, rede ich mit meiner Mama, erzähle ihr etwas von mir, meiner Tochter . . .

„Man lebt zweimal: das erste Mal in der Wirklichkeit, das zweite Mal in der Erinnerung.“
(Honoré de Balzac)

Plötzlicher Kinderlärm reißt mich abrupt aus meinen Gedanken. Die Mädchen und Jungen in der benachbarten Grundschule Blankenstein haben, so scheint’s, gerade große Pause. Ich blicke auf die Uhr: Es ist Zeit.

Als ich den Friedhof verlasse, fällt mir eine Grabsteinplatte auf, auf der unter dem Namen und den Lebensdaten der Verstorbenen, die dort „in Gott ruhen“, zwei Worte eingraviert sind: „Auf Wiedersehen“. Wie zu einem Gruß hebe ich unwillkürlich meine Hand.