Hattingen. In der Reha-Klinik in Holthausen gibt es 14 Betten für Menschen, die desorientiert sind. Sogar ein Zimmer für Patienten aus dem Strafvollzug gehört dazu – und ein ebenfalls geschützter Garten.

Die Zahnpasta ist eingeschlossen, besteht doch das Risiko, dass Patienten sie essen oder mit ihr die Wände beschmieren – nicht aus Boshaftigkeit, sondern einfach, weil sie nicht wissen, was Zahnpasta ist. Die Rede ist nicht von einer Klinik, die auf demente Patienten spezialisiert ist, sondern von der „geschützten Station“ der Reha-Klinik Holthausen.

In der Fachklinik für neurochirurgische und neurologische Rehabilitation gibt es diese „geschützte“ Station mit 14 Betten für Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma, mit unterschiedlichen Hirnblutungen, Schlaganfällen, für Reanimierte, Hirntumorpatienten, für jene, die einen Sauerstoffmangel erlitten, für Menschen mit psychiatrischer Erkrankung oder Gehirnentzündungen. Ihnen gemein ist: Sie sind desorientiert, die Station ist zu ihrem eigenen Schutz abgeschlossen, ihnen fehlt oft die Krankheitseinsicht.

Manche Symptome sind denen von an Demenz Erkrankten ähnlich. Doch Oberarzt Dr. Michael Amend betont: „Demenz ist eine fortschreitende Grunderkrankung. Unsere Patienten erkranken akut.“ In vielen Fällen erlangen sie ihr Gedächtnis ganz oder in Teilen wieder.

Starkes Gruppenkonzept

Rar sind solche Stationen in Deutschland – weshalb Patienten von Kiel bis Bayern nach Holthausen kommen. Mancher reist aus dem europäischen Ausland an. „Wir haben ein starkes Gruppenkonzept entwickelt, denn die soziale Integration soll gefördert werden. Zudem arbeiten verschiedene Therapeuten mit den Gruppen. „Teils gestalten wir die Therapien so spielerisch, dass die Patienten nicht mal merken, dass es eine Therapie ist. Sie werden so schon oft genug mit sich selbst und ihren Defiziten konfrontiert“, sagt Amend. Neben der ständigen Wiederholung von Alltagsabläufen setzt er auf die Förderung von Flexibilität, damit bei späterer Entlassung – gleich ob nach Hause, in eine Pflege- oder andere Einrichtung – die Patienten die Alltagsanforderungen meistern können.

Die „Freiheit“ wird übrigens nach und nach geübt. Zunächst bekommen die Patienten einen so genannten Transponder, den die Klinik mit einer Firma entwickelt hat. Sie erhalten ein Armband, nähern sie sich einer Ausgangstür auf einen Meter, wird diese automatisch blockiert, die Station bekommt einen Hinweis, wer sich entfernen wollte – und durch welche Tür. Entfernt sich der Patient wieder, entriegelt sich die Tür automatisch.

Die meisten Patienten hier stehen unter Betreuung, weshalb das Amtsgericht fast täglich zur Überprüfung im Haus ist. Es gibt sogar ein abschließbares Zimmer, denn gelegentlich kommen Patienten aus dem Strafvollzug zur Behandlung. Die Türen zu den Zimmern sind farbig gekennzeichnet, auf großen Tafeln stehen die Namen der Bewohner. In einem Therapieraum ist stets das Datum groß zu lesen: Das alles sind Orientierungshilfen.

Der direkt von der Station zu erreichende „geschützte“ Garten ist kreisförmig angelegt. Sackgassen gibt es nicht, alle Pflanzen sind ungiftig. Oft kommen Mediziner und Wissenschaftler aus dem Ausland, um die Anlage kennen zu lernen.

„Es gibt sogar ein eigenes Gewächshaus“, sagt der Ärztliche Direktor Dr. Axel Petershofer, „dort haben die Patienten das Gefühl, komplett aus der Klinik zu sein, sind trotzdem in einem begrenzten Raum, können manuell etwas machen.“ Auch junge Frauen liegen auf der Station: „Wir haben eine 15-Jährige und eine 19-Jährige, die an einer erst 2011 beschriebenen Gehirnentzündung leiden, die durch eine bestimmte Form von Antikörpern verursacht wird“, so Amend. Oft sei ihre Prognose gut, aber Medizinischer Dienst und Krankenkassen müssten dafür sensibilisiert werden, Daran arbeiten die Experten.