Hattingen. Helmut Kalsbach erinnert sich an die Bombenangriffe in den letzten Tagen vor Kriegsende. Das erlebte er in Niederwenigern bei seinem Großvater, beobachtete Jagdflugzeuge beim Kampf.
Die Front hatte im Westen wie auch im Osten die deutschen Grenzen erreicht, und es war nur eine Frage der Zeit, dass die Amerikaner vor der Tür standen. Trotz der schon fast aussichtslosen Lage wurde immer wieder von neuen Wunderwaffen erzählt, die den Krieg doch noch zu unseren Gunsten wenden würden. Der 14. März 1945, ein sonniger Frühlingstag, war für mich der Anfang vom Ende. Und zwar vom Ende des Krieges. An die feindlichen Flugzeuge, welche inzwischen nicht nur nachts, sondern auch schon am hellen Tag über Deutschland flogen, waren wir schon gewöhnt. An diesem Tag aber flogen alliierte Bomber begleitet von Jagdflugzeugen einen Angriff auf Hattingen.
Wir spielten vor dem Haus, als die ersten Sirenen Voralarm gaben. Doch das störte uns nicht mehr, da dieses jeden Tag mehrere Male passierte und wir darauf kaum reagierten. Erst als die Sirenen das zweite Mal und kurz darauf das dritte Mal ertönten, gingen wir in den Luftschutzraum, der sich schnell bis auf den kleinsten Platz gefüllt hatte. Wir unterhielten uns wie gewöhnlich, als es plötzlich ungemütlich wurde. Wir hörten das Heulen der Bomben und die Explosionen. Das Licht ging mit den ersten Bomben aus, der Keller wurde dunkel. Jetzt kamen noch einige Nachzügler aus der Nachbarschaft, welche aber nicht alle in dem Luftschutzraum Platz fanden und in den anderen Kellerräumen Schutz suchen mussten. Aber wir hatten großes Glück, dass unser Haus nicht in Mitleidenschaft gezogen worden ist.
Wie lange der Angriffe gedauert hat, kann ich nicht mehr sagen, ich weiß nur, dass ich, während die Bomben fielen, immer kleiner wurde, von der Bank herunterrutschte und mich in die Kellerecke gedrückt habe. Natürlich hatte ich Angst, aber nicht vor einem Volltreffer, sondern besonders vor einer Verschüttung des Luftschutzraumes. Wir wären dann wohl erstickt, da der Notausgang so klug angelegt war, dass man ihn mit Garantie nicht mehr gebrauchen konnte, da er in dem engen Zwischenraum der beiden Häuser Steinhagen 1 und 3 vollständig mit Schutt bedeckt gewesen wäre.
Die Entwarnung ließ nicht lange auf sich warten, und wir Kinder mussten raus, um zu sehen, was alles passiert war. Überall stank es nach dem Schutt der beschädigten Häuser, aber am meisten hat mich doch ein anderes Bild besonders betroffen gemacht. Das Haus Talstraße Nr. 1 gegenüber von Ruthenbeck hatte einen Bombentreffer erhalten. Die Bombe war seitwärts durch die Hauswand in den Keller geschlagen, aber zum Glück nicht explodiert.
Noch am gleichen Tag – oder einen Tag später – sind wir alle nach Niederwenigern zum Opa gebracht und dort einquartiert worden. Hier sind wir bis zum Kriegsende geblieben. Den zweiten Großangriff auf Hattingen haben wir dann von Niederwenigern aus erlebt. Wir waren während des Angriffs allesamt im Keller, der uns maximal Splitterschutz gewährt hätte.
Aber die Zeit in Niederwenigern hat auch uns den Krieg immer näher gebracht, und da wir dort immer unter den Bäumen vor dem Haus gespielt haben, konnten wir die Flieger über uns gut beobachten, und ich konnte dabei einen Luftkampf zwischen zwei Jagdflugzeugen beobachten. Den Ausgang habe ich allerdings nicht mitbekommen, da sie sich dabei immer weiter entfernt hatten. Wir konnten beobachten, wie in Linden der Kirchturm getroffen wurde. Als wir einmal nach Hattingen wollten, mussten wir unterwegs in den Straßengraben springen, da die Tiefflieger kamen.
Kurz vor dem Kriegsende zogen deutsche Soldaten die Essener Straße in Richtung Kupferdreh, wohl um den Verteidigungsring um Essen zu verstärken. Viele von ihnen trugen eine Panzerfaust oder Panzerschreck statt eines Karabiners auf der Schulter. Kurze Zeit später war der Krieg zu Ende, und für uns begann eine gefährliche Zeit, da man überall Waffen, Munition, ja sogar Kanonen oder Panzerfahrzeuge an den Straßenrändern fand. In Niederwenigern war eine ausrangierte Vierlingsflak, auf der wir Karussell gefahren sind. Im Mai 1945 war der Krieg zu Ende, und wir gingen wieder zurück nach Hattingen.