Hattingen. . Der Glockenturm am Krämersdorf gehörte einst zur Johanniskirche, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Der Turm blieb und diente eine Zeit lang einem halben Vogel als Sitz.
Dass das Denkmal, um das es in der heutigen Folge unserer Serie geht, überhaupt noch steht, grenzt an ein Wunder. War doch schon 1955 der Abriss des Glockenturmes am Krämersdorf beschlossen und eine entsprechende Bitte um Genehmigung an den Landeskonservator gesandt worden. Und das, nachdem der Turm mehr schlecht als recht die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg überstanden hatte.
Denn ursprünglich gehörte der Turm zur Johanniskirche. Deren Geschichte wurde oft erzählt und soll deshalb hier nur angerissen werden: Entstanden ist sie einst aus dem Hattinger Stadtweinhaus. 1688 hatte die „reformierte Gemeinde zu Hattneggen und im Amt Blankenstein“ den Saal des Hauses für ihre Gottesdienste angemietet. Schon drei Jahre später erbte sie das Haus , feierte 1692 dort die erste Taufe und baute das Weinhaus in den folgenden drei Jahrzehnten zur Kirche um.
Spenden für den Turmbau
Erst 1737 wurde dann auch der Glockenturm gebaut. Dafür waren Spenden in benachbarten Gemeinden gesammelt worden und sogar aus Holland kam finanzielle Hilfe. Das Ende der Kirche besiegelte ein Luftangriff im März 1945. Von der Johanniskirche blieben nur Trümmer. Allein der Turm — wenngleich am Dach schwer beschädigt – blieb erhalten.
Zehn Jahre später drohte trotzdem der Abriss. Zwar hatte sich die Stadt beim Ankauf des Trümmergrundstücks von der Evangelischen Gemeinde verpflichtet, den Kirchturm in alter Form wiederaufzubauen. Als im Jahr 1955 aber der Putz in immer größeren Stücken vom Bruchsteinmauerwerk bröckelte und der Durchgang abgesperrt werden musste, lehnten es sowohl der Finanz- wie auch der Hauptausschuss ab, den Turm instand setzen zu lassen. Stattdessen sollte der Landeskonservator dem Abriss zustimmen.
Der allerdings stellte rund ein Jahr später Landesbeihilfen von 10 000 D-Mark in Aussicht – zum Wiederaufbau des Turmes. Und nun entschloss sich auch die Stadt zur Restaurierung, spendierte dem Turm einen neuen Helm. Die elf Meter hohe Haube, die der ursprünglichen Form des Daches nachempfunden ist, entstand 1957 aus „Fichtenholz der Güteklasse I“.
Spendiert wurde dem Glockenturm neben neuem Putz, Fensterverblendungen und Helm auch ein neuer Turmhahn. Der alte war bei der Bombardierung samt Kreuz heruntergestürzt und hatte dabei ein Bein verloren. Als Kriegsinvalide fand er einen Ehrenplatz im Alten Rathaus.
Auch der neue Hahn konnte sich nicht dauerhaft auf der Spitze des Glockenturms halten. 1975 bemerkte eine aufmerksame Nachbarin: Der Hintern des eisernen Federviehs war abhanden gekommen. Nur noch ein halber Hahn drehte sich im Wind. Die andere Hälfte blieb verschwunden. Niemand hatte gesehen, wie sie heruntergestürzt war.
Möglicherweise ist der Bürzel ein Opfer von Wind und Wetter geworden, die dem Mauerwerk so zusetzten, dass der Turm 1989 erneut für 60 000 D-Mark saniert werden musste. Heute jedenfalls ist auch der halbe Hahn Geschichte – und der Glockenturm seit dem 27. Juli 1982 ein Denkmal.
Wo der Bürgermeister „Alle meine Entchen“ spielt
Es gab dem Glockenturm seinen Namen: das im Jahr 1958 von Generalkonsul Leo Gottwald gestiftete Glockenspiel. An einem Sonntag, kurz vor Mittag, erklang es das erste Mal. Gottwald selbst spielte ein Präludium, „Am Brunnen vor dem Tore“ und mehr.
25 Glocken aus Stahl mit einem Gesamtgewicht von 16 000 Kilogramm hängen im Glockenstuhl. „Glocken aus Bronze klingen besser, aber Stahl passt besser in die Region. Das ist der Klang der Region“, sagt Peter Siepermann, der das Glockenspiel seit 16 Jahren bedient.
1999 war es renoviert worden. Die alte mechanische Technik war durch computergesteuerte ersetzt worden. Rund 60 000 D-Mark hatte die Stadt dafür veranschlagt. Allerdings: Die erhoffte Unterstützung vom Land gab es nicht, denn nicht das Glockenspiel, sondern nur der Turm stünde unter Denkmalschutz. Finanzielle Hilfe gab es dafür vom Seniorenkreis WiR, der gesammelt hatte. So konnte Bürgermeister Liebig das überarbeitete Glockenspiel im August 1999 offiziell einweihen – mit dem von ihm zum Besten gegebenen „Alle meine Entchen“.
Jahrzehntelang hatte zuvor Walter Schulte die Glocken angeschlagen. Seit 1982 ließ er die Glocken auch zum Auftakt des Altstadtfestes erklingen. Außerdem spielte er in der Weihnachtszeit täglich und holte sich im zugigen Turm kalte Finger. Für Ministerpräsident Johannes Rau spielte er „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“. Für Bundespräsident Roman Herzog erklang das Steigerlied. „Da sagte Rau, dass das Stück schöner war, das ich für ihn gespielt hatte“, erzählt Schulte lächelnd.
Das Steigerlied übrigens gehört auch für Schultes Nachfolger Peter Siepermann unbedingt ins Repertoire: „Da bestehe ich drauf.“ Dabei ist es gar nicht leicht, den Hattinger Glocken harmonische Klänge zu entlocken. „Es ist ein Glockenspiel im Umbruch“, erklärt Siepermann. Weil die meisten Glocken inzwischen von außen angeschlagen werden und so deutlich schneller reagieren als die, in denen noch der Klöppel schwingt, muss er etwas zeitversetzt spielen.
„Man muss das Instrument kennen, um es spielen zu können“, sagt er. „Aber man wächst mit seinen Herausforderungen.“ Inzwischen seien er und das Glockenspiel Freunde geworden. Ganz im Gegensatz zu einem Gastspieler aus München. „Ein exzellenter Glockenspieler“, wie Siepermann betont. In Hattingen aber, da hatte der Kollege in der Mitte des Stücks aufgegeben.