Hattingen. Heute vor 70 Jahren: Widerstandskämpfer Nikolaus Groß aus Niederwenigern wurde am 23. Januar 1945 von den Nazis in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

„Er schwamm mit im Verrat, muss folglich auch darin ertrinken!”

­Zynische Worte, gesprochen vom Volksgerichtshof-Vorsitzenden Roland Freisler, am 15. Januar 1945, kurz nachdem er das Todesurteil gegen ­Nikolaus Groß, geboren in Nieder­wenigern an der Ruhr, fällte. Worte, die seine Urteils­begründung sein müssen, denn eine andere gibt es nicht. Die Nazis duldeten keine Kritiker, sie richteten Groß eine Woche später, am 23. Januar 1945, in Plötzensee hin – heute vor 70 Jahren endete das Leben eines gütigen und gläu­bigen, eines fürsorglichen und familiären Menschen, der immer einen ­besonderen Wert auf Gott und das Gemeinwohl gelegt hatte.

Weit gereist und bodenständig

Er war weit gereist und doch so bodenständig. Er war gerne von all seinen Lieben umgeben, aber genauso oft alleine am Schreibtisch. Er war herzensgut und doch so energisch streitbar. „Wenn von uns etwas verlangt wird, was gegen Gott oder den Glauben geht, dann dürfen wir nicht nur, sondern müssen den Gehorsam (gegen Menschen) ablehnen”, schrieb Groß etwa im Jahr 1943 in seiner Glaubenslehre. Es war seine Offenheit, die ihn ins Blickfeld der Nationalsozialisten rückte, ab dem Jahr 1940 verhörte ihn beispielsweise immer wieder die Gestapo und durchsuchte mehrfach sein Haus in Köln. Im August 1944 wurde Nikolaus Groß schließlich im Zusammenhang mit dem Hitler-Attentat vom 20. Juli ver­haftet, obwohl er damit nichts zu tun hatte. Ihm wurden Kontakte zu den Kreisen um Claus Schenk Graf von Stauffenberg nachgesagt.

Nikolaus Groß wurde am 30. September 1898 in Niederwenigern ge­boren. Er stammte aus einfachen Verhältnissen, sein Vater war Zechenschmied. Und der Bergbau sollte auch sein erstes Betätigungsfeld nach seiner Wennischen Volksschulzeit werden: Er arbeitete in einem Blechwalzwerk, zunächst als Schlepper, später als Hauer; fünf Jahre war er unter Tage in einer Kohlengrube. Und ebenda kristallisierte sich der erste Schwerpunkt in Groß’ Leben heraus – das Engagement in der Arbeiter­bewe- gung.

Mit 19 trat er dem Gewerkverein christlicher Bergarbeiter bei, wurde im Jahr 1918 Mitglied der Zentrumspartei und schloss sich 1919 dem Antonius-Knappenverein (heute KAB) Niederwenigern an. Weitere Stationen: Jugendsekretär in der christlichen Bergarbeitergewerkschaft, Hilfsredakteur der Zeitung „Bergknappe“. Regelmäßig ­bildete sich Nikolaus Groß fort, stillte seinen Wissensdurst, strebte nach Neuem.

„Unser Vater war dennoch viel zu Hause“, erzählt Bernhard Groß über den Alltag daheim, „das war das Schöne an unserem Familienleben.“ Der Schreibtisch im Büro nebenan hatte Nikolaus Groß so aufgestellt, dass er seine spielenden Kinder im Hof sah: ­Klaus, Berny, Marianne, Elisabeth, Alexander, Bernhard und Leni bereicherten sein Leben, verheiratet war er mit Elisabeth (auch aus Niederwenigern), die er liebevoll „Mutter“ rief („Unsere Herzen schlagen im gleichen Takt“). Oft habe man zusammen gegessen, habe gemeinsam gespielt, musiziert, Gedichte aufgesagt und viel gebetet. „Eigentlich waren wir für die damalige Zeit eine stinknormale Familie”, so Bernhard Groß.

Die 1930er Jahre. Längst lebte die Familie in Köln. Mit Engagement widmete sich Nikolaus Groß dem Glauben und der Stärkung der Arbeiterrechte. Er stritt für einen Acht-Stunden-Tag und für ein Arbeitsschutzgesetz. Klassenkampf lag ihm fern: „Nur im Glauben wächst die Liebe!“

Nikolaus Groß war Chefredakteur der „Ketteler Wacht“, dem KAB-Organ. Als solcher schreibt er am 14. September 1930: „Wir lehnen als katholische Arbeiter den Nationalsozialismus nicht nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, sondern entscheidend auch aus unserer religiösen und kulturellen Haltung entschieden und eindeutig ab.”

Vati – wohin gehst Du?

Schnell brachten ihm solche Aussagen in Konflikt mit den Nazis. Gegen Mittag des 12. August 1944 wurde er von der Gestapo in Köln verhaftet. „Vati – wohin gehst Du“, fragte die gerade fünf Jahre alte Leni, nicht wissend, dass es die letzte Begegnung zwischen Vater und Tochter war.

Widerstand und Weitsicht – das machte Nikolaus Groß zu dem Menschen, der er war. Beim Deutschland-Besuch von Papst Johannes Paul II., der ihn im Jahr 1987 auch ins Ruhr­bistum führte, wurde sein Name ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt. Der Papst erwähnte ihn gleich zweimal, im Parkstadion Gelsenkirchen und auf der Bottroper Zeche Prosper Haniel – er bezeichnete ihn als „Widerstandskämpfer, der sein Leben für seinen Glauben und die Kirche hingegeben hat“.

Der Seligsprechungsprozess wird bereits im darauffolgenden Januar eingeleitet, Ruhrbischof Franz Hengsbach hatte zuvor die Genehmigung der Nachbarbistümer und aus Berlin eingeholt. Am 7. Oktober 2001 wurde Nikolaus Groß schließlich vor zehntausenden Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen.

Bekanntester Sohn des Dorfes

Niederwenigern war Groß stets eng verbunden, auch lange nachdem er weggezogen war. „Ich denke, dass die Menschen im Dorf spürten, dass er zu nichts Unrechtem fähig war“, berichtet Bernhard Groß in seinen Erinnerungen. „So kann man schon sagen, dass wir unbehelligt geblieben sind.“ Auch Marianne Kappert, damals Spielkameradin von Bernhard und dessen Schwester Leni, die sich heute um das Nikolaus-Groß-Haus kümmert, schwärmt von der Herzensgüte des bekanntestes Sohn des Dorfes.

„Mutter hatte immer gehofft, dass sie ihn wieder freilassen”, sagt Bernhard Groß. Doch das war vergebens: Theodor Hüpgens, ein Freund von Nikolaus Groß, überbrachte Anfang Februar 1945 die Todesnachricht – eine offizielle gibt es bis heute nicht.