Erschüttert hörten über 70 Gladbecker vom Schicksal der jüdischen Familie Kaufmann, die der Lokalhistoriker Manfred Samen aufgearbeitet hat.

Etwa sechs Millionen Juden fielen dem Terrorregime der Nationalsozialisten zum Opfer – eine riesige, aber dennoch erschreckend vage Zahl, die schockiert. Doch sind es vor allem die Einzelschicksale, die dieser Zahl Leben einhauchen und Betroffenheit auslösen. Die Geschichte der jüdischen Familie Kaufmann ist ein solches Einzelschicksal – exemplarisch für viele andere, sind sie doch so viel mehr als nur die Opfer eines brutalen Regimes. Eine Familie mit Eigenheiten, die für eine kurze Zeit ein Teil von Gladbeck war. . .

Anlässlich der „Woche der Brüderlichkeit” hat sich Manfred Samen, seit vielen Jahren leidenschaftlicher Heimatforscher, auf Spurensuche begeben. Seine Ergebnisse hat er in dem detaillierten Sprach- und Diavortrag „Die Gladbecker jüdische Familie Ida und Max Kaufmann – ein Lebensweg bis in die Gaskammer” zusammengefasst, den er jetzt im Haus der VHS gehalten hat.

Für Samen war es wichtig, das Schicksal der Familie Kaufmann historisch einzuordnen, und so begann er mit der Situation der jüdischen Bürger in Gladbeck um 1910 und arbeitete sich dann langsam bis zur Reichspogromnacht 1938 vor, bevor er schließlich den Blick auf das Ehepaar Max „Meschulam” und Ida „Jette” Kaufmann und seine acht Kinder lenkte. Ursprünglich aus Galizien (damals Österreich-Ungarn) gehörten die Kaufmanns zu den so genannten Ostjuden, die – anders als die assimilierten Westjuden – häufig eher in ärmlichen Verhältnissen lebten.

Haus der jüdischen Familie Kaufmann , Horster Straße 54 ehem. Kaiserstraße 54 Repro: Ulla Michels
Haus der jüdischen Familie Kaufmann , Horster Straße 54 ehem. Kaiserstraße 54 Repro: Ulla Michels © WAZ

Arm sei die Familie Kaufmann jedoch nicht gewesen, als sie 1924 von Hamborn nach Gladbeck zog und dort das ansehnliche Haus an der Kaiserstr. 54 – heute Horster Str. – erwarb, berichtete Samen. Dort eröffnete das Ehepaar einen Kurzwaren- und Textilhandel, der gemäß den jüdischen Religionsvorschriften samstags geschlossen blieb – ein Gebot, das viele jüdische Kaufleute vernachlässigten, was darauf hinweist, dass die Familie sehr gläubig war.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten hielt der extreme Antisemitismus auch in Gladbeck Einzug, „obwohl die Quellenlage hier spärlich ist, da Zeitzeugen fast nichts dokumentiert haben”, so Samen, der sich in seinen Ausführungen daher vor allem auf nationalsozialistische Zeitungen und die Wiedergutmachungsakten im Stadtarchiv beruft.

Das Dia des Ehepaar Kaufmanns, das gemeinsam mit Tochter Selma glücklich in die Kamera blickt, noch vor Augen, mussten die Zuhörer des Vortrags erschüttert mitanhören, welche Schrecken die Familie ab Ende der 1930er Jahre erleiden musste. In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurden die Geschäftsräume sowie Wohnung und Gebetssaal der Familie massiv demoliert und die Kaufmanns von den Nationalsozialisten vorübergehend in „Schutzhaft” genommen. Vier Familienmitglieder kamen im Konzentrationslager ums Leben (siehe Info-Kasten).

Heute erinnert nur noch eine Gedenktafel am Haus in der Horster Straße an die Gladbecker Familie Kaufmann.