Gladbeck. Mohamad S. (22) und Alabbas M. (42) erzählen, auf welchem abenteuerlichen Weg sie nach Deutschland gelangten. Ein Refugium bietet ihnen die Notunterkunft in Ellinghorst. Jetzt fürchten sich die Männer vor der Abschiebung ins völlig überforderte Bulgarien
Auf zehn Quadratmeter konzentriert sich jetzt das Leben von Mohamad S. (22) und Alabbas M. (42): Sie sind als Syrien-Flüchtlinge in der städtischen Notunterkunft An der Boy, neben der A 2, untergekommen. Zehn Quadratmeter, in denen man trotz aller Trostlosigkeit die geballte Hoffnung auf ein besseres Leben spürt, von der die Männer berichten. „Wir sind froh, es bis nach Deutschland geschafft zu haben. Ein gerechtes Land, hier möchten wir uns ein neues Leben aufbauen, in Frieden studieren und arbeiten.“ Auf abenteuerliche Weise sind beide dem Terror in Syrien entkommen.
„Ich stamme aus der Provinzhauptstadt Hasaka, im Nordosten des Landes“, erzählt Mohamad. Übersetzt von Zinar Hajo, der die Stadt Gladbeck bei der Flüchtlingsarbeit als Dolmetscher unterstützt. Grafik-Design hat der 22-Jährige in der Hauptstadt Damaskus studiert, war in den Semesterferien heim gefahren. Dann folgte die Offensive der Truppen des Islamischen Staates (IS) in die Kurdenregion. „Richtung Süden, nach Damaskus, war kein Durchkommen mehr. Die IS hat Überlandbusse überfallen, Menschen entführt, erschossen oder 4000 Dollar Lösegeld von den Familien gefordert.“ Freunde von ihm seien nicht zurückgekehrt, erzählt Mohamad leise. Nachdem sein jüngerer Bruder (17) bei einem IS-Beschuss verletzt wurde, hielt seine Familie Rat, was zu tun sei und habe beschlossen, ihm als ältestem Sohn die Flucht zu ermöglichen.
Schleppern 6000 Euro gezahlt
„Mein Vater hat ein Grundstück verkauft, um einer Schlepperbande rund 6000 Euro zahlen zu können.“ Eine Art Sorglospaket sei versprochen worden, dass der Sohn für die Summe wohlbehalten in Deutschland ankommt, um dort Asyl zu beantragen. Durch Bestechung der Grenzsoldaten gelang die Flucht im Lkw über die Türkei bis nach Bulgarien. Beim Versuch, weiter nach Rumänien zu gelangen, flog der Menschentransport auf. Erst nach Registrierung in Bulgarien gelang Mohamad im zweiten Anlauf die Flucht nach Deutschland. Wie es seiner Familie genau geht, weiß der 22-Jährige nicht, „mittlerweile ist Hasaka von der IS eingeschlossen, aber kurdische Gruppen und die syrische Armee halten noch Teile der Stadt.“
Auch bis vor die etwa 80 Kilometer von Hasaka entfernte Grenzstadt zur Türkei, Quamishli, ist die Terrorgruppe vorgerückt. Über das türkische Handynetz kann Alabbas M. weiterhin Kontakt zur Familie und Freunden halten. Der 42-Jährige stammt aus einem vorgelagerten Dorf. „Als die IS vorrückte und die Granaten aus schweren Waffen in die Häuser einschlugen, habe ich nur meine Wertsachen gegriffen und gesehen, dass ich zur türkischen Grenze entkomme.“
Völlig überfülltes Zeltlager
Für rund 100 Dollar Bestechungsgeld ließen ihn die türkischen Soldaten zum Flüchtlingslager passieren. Von dort habe er sich weiter bis an den Grenzort Edirne durchgeschlagen. Schnell war dort Kontakt zu einer Schlepperbande hergestellt, die 400 Dollar für den Menschenschmuggel in die EU nach Bulgarien verlangte. Dort sei er dann in das Auffanglager Harmanli gebracht worden. In dem mit rund 800 Menschen überfüllten Zeltlager hätten katastrophale Verhältnisse geherrscht. Mit Hilfe von Schleppern, als vermeintlicher Rumänien-Tourist getarnt, gelang Alabbas M. die Flucht nach Deutschland.
Eine trügerische Sicherheit. Da Mohamad S. und Alabbas M. zuerst in Bulgarien als Flüchtlinge registriert wurden, droht ihnen nach EU-Recht die Abschiebung dorthin. Für beide eine humane Katastrophe: „In Bulgarien gibt es keine Arbeit. Flüchtlinge erhalten dort 35 Euro im Monat, davon kann man nicht überleben.“ Sie hoffen jetzt auf rechtliche Hilfe über den Gladbecker Arbeitskreis Flüchtlingsarbeit der Ev. Kirchengemeinde.
Stadt sucht nach neuer Notunterkunft
Nachdem in den zurückliegenden Jahren nur noch wenige Flüchtlinge um Asyl in Deutschland gebeten hätten, „hat auch Gladbeck die Zahl der Notunterkünfte in der Stadt bis auf die Standorte An der Boy und Winkelstraße reduziert“, so Sozialdezernent Rainer Weichelt. Durch die aktuellen Krisenregionen und die von dort wieder vermehrt in Deutschland Zuflucht suchenden Menschen, „reicht der Platz in den vorhandenen Notunterkünften nicht mehr aus“.
Mit Stichtag Ende September seien der Stadt bereits 70 Asylanten in 2014 neu zugewiesen worden, „darunter 21 Kinder“, so Thomas Andres vom Sozialamt. Mit denen teils seit mehreren Jahren in Gladbeck untergebrachten Flüchtlingen summiere sich so die Zahl auf insgesamt 414 Menschen. Der Großteil aus Eritrea, mittlerweile an zweiter Stelle gefolgt von Menschen aus Syrien. „Damit die Flüchtlinge eine Perspektive sehen, ist es unser Ziel, sie möglichst schnell aus den Notunterkünften heraus im normalem Wohnumfeld der Stadt unterzubringen“, erklärt Rainer Weichelt. Der Großteil, 228 Personen, leben so in privat angemieteten Wohnungen.
Da die Container An der Boy nach dem Winter abgerissen werden, überlege die Stadt jetzt, wie und wo die benötigten Unterkünfte bereitgestellt werden können. Weichelt: „Das könnten weitere private Mietwohnungen, neue Wohn-Container oder ein leerstehendes städtisches Schulgebäude sein.“