Gladbeck. . Die Zahlen steigen rasant an. In 2013 verließen 256 katholische und evangelische Christen ihre Kirche. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres waren es schon 269. Superintendent Chudaska: Verändertes Kirchensteuereinzugsverfahren ist Hauptursache. Vor allem Senioren sind verunsichert, dabei ändert sich an der Kirchensteuer selbst gar nichts.

269 katholische und evangelische Gladbecker haben seit Jahresbeginn ihrer Kirche den Rücken gekehrt. Die Zahl lässt bei Kirchenoberen auf beiden Seiten die Alarmglocken schrillen. Denn schon im vergangenen Jahr stiegen die Austrittszahlen rasant an, zählten die Katholische und Evangelische Kirche in Gladbeck am Ende des Jahres insgesamt 256 Schäfchen weniger. Doch das war erst der Beginn eines Trends, der sich in 2014 in beängstigendem Tempo fortsetzt. „Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass eine Kirchenaustrittserklärung eingereicht wird“, heißt es im Gladbecker Amtsgericht. Und Katholiken und Protestanten geben sich dort offensichtlich die Klinke in die Hand.

2013 meldeten 139 Katholiken und 117 Protestanten ihren Austritt, in den ersten sieben Monaten dieses Jahres ist das Mengenverhältnis bei den bislang erklärten 269 Austritten ähnlich. Superintendent Dietmar Chudaska schätzt die Zahl der abtrünnigen Protestanten in Gladbeck auf knapp 120, bei den Katholiken dürften es damit ca. 150 sein.

Was aber treibt die Gläubigen in Scharen aus der Kirche? Für den Superintendenten des Ev. Kirchenkreises Gladbeck-Bottrop-Dorsten liegt die Erklärung auf der Hand: Die Umstellung des Verfahrens zum Einzug der Kirchensteuer ist die Hauptursache. Dabei, und das ist die bittere Wahrheit, „verändert sich für die Kirchenmitglieder gar nichts“, sagt Chudaska. Kirchensteuer musste auch bisher auf Kapitalerträge gezahlt werden, bloß wurde diese erst bei der Einkommensteuererklärung berechnet. Mit dem neuen Verfahren informieren die Banken nun ihre Kunden, dass die von Zinserträgen abzuführende Kirchensteuer direkt abgezogen wird. Chudaska: „Das verunsichert viele und erzeugt das Gefühl, die Kirche will mehr haben.“ Dass dies nicht der Fall ist, und der Steuerzahler Zinserträge über 800 Euro haben muss, bevor ein Cent Steuer erhoben wird, sei schwer zu vermitteln. Vor allem Senioren, die das gar nicht betreffe, seien verunsichert und kündigen die Mitgliedschaft, weil sie um ihre Rente fürchten.

Das Bistum Essen hatte vor einigen Wochen auch die Diskussion über den Luxusbau des Limburgischen Bischofs Tebartz-van Elst als Ursache für die zunehmende Zahl von Austritten genannt. Noch eine bittere Erkenntnis für die Ev. Kirche: „Deshalb steigen auch bei uns die Austritte. Wir werden in Sippenhaft genommen“, sagt Chudaska.

Wir werben mit guter Arbeit für uns

Mit Informationen in Gemeindebriefen und über die Medien versucht die Evangelische Kirche, die Irritationen zum Kirchensteuereinzugsverfahren aufzuklären. Auch werden alle Austritte den Presbyterien bekannt gemacht und auch Gespräche geführt. „Doch gegen gefühlte Unsicherheit lässt sich schwer rational argumentieren“, sieht der Superintendent wenig Chancen, den Trend umzukehren.

Er setzt daher eher darauf, mit guter Arbeit für die Gemeinschaft der Kirche zu werben. „Wir haben bis heute eine tolle Botschaft. Ich wünsche mir, dass wir gute Arbeit mit und an den Menschen leisten, so dass dies ausstrahlt.“ Doch er appelliert auch an die Loyalität der Gläubigen. „Dieses Netzwerk Kirche ist ein hohes Gut für die Gemeinschaft, ich glaube, dass es den Leuten gut tut.“ Wenn der Individualismus auf die Spitze getrieben werde, sei das für die gesamte Gesellschaft wahnsinnig gefährlich. „Es ist eine Frage der Haltung jedes Einzelnen, was ihm diese Gemeinschaft wert ist.“

Noch haben die beiden christlichen Kirchen in Gladbeck – Gesamtbevölkerung 75.000 – vergleichsweise viele Mitglieder. Rund 29.000 Gladbecker gehören zur Katholischen, knapp 20.000 zur Evangelischen Kirche. Mehr als die Austritte macht den Kirchen der demografische Faktor zu schaffen. So hatte Propst André Müller kürzlich erklärt: „Wir verlieren jährlich 1000 Mitglieder, nur 10 Prozent davon treten aus.“ Auch der Superintendent sieht „eine dramatische Veränderung in der Bevölkerungsentwicklung.“

Natürlich gibt es auch Wiedereintritte bei beiden Kirchen. Sie kompensieren den Schwund aber nicht. Chudaska: „Die Mitglieder kehren sich in Scharen ab. Nur Einzelne kehren wieder zurück.“