Erna Müller ist auf Betablocker angewiesen. Jahrelang bekam sie dasselbe Medikament. Dann schlossen die gesetzlichen Krankenkassen Rabattverträge mit Pharmaunternehmen, und seitdem musste sich die 79-Jährige an ein anderes, wirkungsgleiches, aber preiswerteres Mittel eines anderen Herstellers gewöhnen. Die Apotheken müssen das Vertragsmedikament der Krankenkasse ausgeben – gleichgültig, was der Arzt aufs Rezept geschrieben hat.

Viel bürokratischer Aufwand

„Den Kunden das zu erklären, war schon schwierig genug“, erinnert sich Christoph Witzke, der Sprecher der Gladbecker Apothekerschaft. In jüngster Zeit spitzt sich die Lage allerdings noch zu: Etliche Medikamente sind schlicht und einfach nicht mehr lieferbar.

Für manche chronisch Kranken bedeutet das: Das Ersatzpräparat, das sie, meist zähneknirschend, akzeptieren mussten, wird durch die dritte, vierte oder fünfte Variante ersetzt. „Da hört bei vielen das Verständnis dann endgültig auf“, erleben Christoph Witzke und seine Kollegen Tag für das Tag.

In den Apotheken steigen der Erklärungsbedarf gegenüber den Kunden und die bürokratische Aufwand gleichermaßen. Witzke: „Wir müssen den Krankenkassen in jedem Einzelfall begründen, warum wir dem Patienten nicht das Vertragmedikament gegeben haben.“

Christoph Witzke glaubt den Grund für die immer wieder auftretenden Lieferengpässe bei Medikamenten zu kennen: „Die gesetzlichen Krankenkassen schreiben jeden gängigen Wirkstoff aus und 20 bis 30 Hersteller geben Angebote ab. Da kann es zu der paradoxen Situation kommen, dass ein kleines Unternehmen den Zuschlag bekommt, plötzlich Vertragspartner einer großen Kasse mit 20 Millionen Versicherten wird und mit der Produktion der benötigten Mengen überhaupt nicht nachkommen kann.“

In einem so hochentwickelten Gesundheitswesen wie in Deutschland dürfe es einfach nicht passieren, dass ein Medikament überhaupt nicht zu kriegen ist, meint Witzke. Den Apothekersprecher treibt noch etwas anderes um: „Es ist erwiesen, dass bei Patienten, wenn sie ständig ein anderes Medikament bekommen, die Bereitschaft sinkt, das Arzneimittel gewissenhaft einzunehmen.

Auf lange Sicht verursacht das hohe Kosten. Die Krankenkassen sparen also am falschen Ende.“ Erna Müller, die mittlerweile Betablocker schon von mehreren Herstellern schlucken musste, steht nicht allein da.

Aktuell, so stellt Christoph Witzke mit einem kurzen Blick in seinen Computer fest, gibt es unter anderem Engpässe bei einem Antidepressivum: Von neun Herstellern kann gerade mal einer liefern.