Gladbeck. Zum Auftakt der Weltmeisterschaft berichtet der Zweckeler Ernst Froese über die Auswanderer-Geschichte seiner Familie. Ein Teil der Verwandten lebt in Santo André, dem WM-Quartier der Nationalmannschaft. Was überraschen mag: Deutsche Auswanderer bauten die erste brasilianische Fußball-Liga auf
Das Zechenhaus an der Redenstraße hübsch ausgebaut zum individuellen Eigenheim, dahinter ein gepflegter Garten, ein blitzeblankes Auto vor der Garage -- Bewohner Ernst Froese ist quasi das Paradebeispiel für einen alteingesessenen Gladbecker. Wer es nicht besser weiß, ahnt sicher nicht, dass den Zweckeler ganz besondere brasilianische Momente mit der jetzt gestarteten Weltmeisterschaft im fernen Südamerika verbinden. „Mein Vater ist einst nach Brasilien ausgewandert, und ein Teil meiner Familie lebt bis heute in der Stadt, die jetzt das Domizil unserer Nationalmanschaft ist: Santo André bei Sao Paulo“, erzählt der agile 70-Jährige.
Sein Vater Otto gehörte zu den acht Kindern, mit denen seine Großeltern Karl und Maria 1925 das Glück in der Fremde suchten. Nach dem verlorenen ersten Weltkrieg, der Ruhrbesetzung und der Wirtschaftskrise mit horrender Inflation wanderten die Großeltern nach Sao Paolo in Brasilien aus, wo sich bereits eine größere deutsche Kolonie etabliert hatte. Auswanderer die, was überraschen mag, den Fußball beim heutigen WM-Gastgeber erst etablierten und die brasilianische Fußball-Liga aufbauten.
Fußballbegeisterte Immigranten um den Hamburger Hans Nobiling, die im März 1899 das erste offizielle Fußballspiel bestritten und wenige Monate später, im September, den Sport Club Germania Sao Paulo gründeten, einen der ersten Fußballvereine Brasiliens. „Für den hat auch mein Onkel Paul gespielt“, erzählt Ernst Froese. „Der war richtig gut, so dass er auch zum Training der Nationalauswahl eingeladen wurde, wo er mit der brasilianischen Fußball-Legende Arthur Friedenreich spielte.“
Der erste Star des brasilianischen Fußballs, der in der Verlängerung des Endspiels gegen Uruguay um die Südamerika-Meisterschaft 1919 das entscheidende Tor schoss. Noch heute stellt Friedenreich laut Fifa-Statistik mit 1329 erzielten Toren selbst Landsmann und Nationalheld Pelé in den Schatten, der 49 Tore weniger schoss.
Dass Ernst Froese heute nicht in Brasilien um den Einzug ins WM-Finale mitfiebert, liegt daran, dass der Großvater mit fünf Kindern bereits 1939 in die alte Heimat zurückkehrte. Im Herzen sei der immer glühender deutscher Nationalist geblieben, erzählt der Gladbecker. Als die Nationalsozialisten die Auswanderer zur Rückkehr „heim ins Reich“ aufforderten, habe der Großvater allen brasilianischen Besitz verkauft, um ins Ruhrgebiet zurückzukehren. Wie der Einreisestempel im alten Reisepass dokumentiert, betraten die Froeses am 1. September 1939 wieder deutschen Boden. „Genau an dem Tag“, sagt Ernst Froese, „als der zweite Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen begann.“
Auch nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft und später als Bergmann im Haus an der Redenstraße habe sein Vater Otto Brasilien nie vergessen. „In sentimentalen Momenten hat er immer sein Fado-Lieblingslied vom Borboleta, dem kleinen Schmetterling, gesungen.“ Unvergessen ist Froese selbst ein unerwarteter Besuch vor einigen Jahren. Der dunkelhaarige Mann, der in Zweckel anklingelte und sich mit gebrochenem Deutsch vorstellte, war kein windiger Vertreter für dubiose Haustürgeschäfte, „sonden mein Onkel Alfred aus Santo André“.
Als Ingenieur bei VW do Brasil beschäftigt, nutzte er den Lehrgang in Wolfsburg zum Besuch der Verwandtschaft. „Er hat mich auch gefragt, ob ich nicht mit nach Brasilien kommen möchte, er könne da viel für mich regeln.“ Ernst Froese lehnte dankend ab.
Und auch wenn sein Traumendspiel Brasilien gegen Deutschland lautet, ist beim Wunschergebnis klar, wen er als Weltmeister 2014 sehen will: „2:1 für Jogis Mannschaft.“