Gladbeck.

Die Jovy-Villa läge beinahe an der Humboldtstraße! Die Gladbeckerin Hannelore Kunze (88) kann es bezeugen, denn ihr Vater Johann Bohmkamp bot Oberbürgermeister Dr. Michael Jovy das Haus Humboldtstraße 8 einst in den 20-er Jahren zum Mieten an.

Doch Familie Jovy lehnte damals ab - und wahrscheinlich machte vor allem die Gattin des Oberbürgermeisters ihren Einfluss entsprechend geltend. Ihr schwebte offenbar ein noch repräsentativeres Gebäude als Domizil für die Oberbürgermeister-Familie vor. Die spätere Jovy-Villa an der Friedrichstraße erfüllte diese Vorstellungen dann.

Für Hannelore Kunze wurde die Ablehnung der Jovys in gewisser Weise zum Glücksfall - denn Johann Bohmkamp entschied daraufhin, dass seine eigene Famiie in das von ihm gekaufte und frisch renovierte Haus an der Humboldtstraße 8 einziehen solle. Ab dem Jahr 1926 bewohnten also die Eheleute Johann und Mechthilde Bohmkamp mit ihren Kindern Gerhard (Jahrgang 1910), Günther (1916), Herbert (1919) und Hannelore (geboren 1926) das Haus an der Humboldtstraße 8 ein. Hannelore Kunze erlebte die ersten Jahre ihrer Kindheit an dieser Adresse - und schwärmt heute noch davon.

Riesengroßer Garten, großzügig zugeschnittene Stadt-Architektur

„Das war ein Wohnhaus mit einem riesengroßen Garten bis hin zur Goethestraße. In dem Garten haben wir immer gespielt, haben dort zum Beispiel unsere Zelte aufgebaut“, erzählt sie. Und sie legt passend zu ihren Erinnerungen die entsprechenden Fotos vor: Die Bilder zeigen die Wohnräume an der Humboldtstraße 8: Herrenzimmer, Musikzimmer, Esszimmer. Großzügig zugeschnittene Stadt-Architektur, die ein rundum bürgerlich-behagliches Ambiente ausstrahlt.

Wandmalereien und Schachbrett-Bodenmuster an der Humboldtstraße 8.
Wandmalereien und Schachbrett-Bodenmuster an der Humboldtstraße 8. © WAZ FotoPool

Johann Bohmkamp war in den 20-er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein auf vielen Feldern tätiger Geschäftsmann, der in Gladbeck höchstes Ansehen genoss und ein wichtiges Mitglied der lokalen Honoratioren-Gesellschaft war.

Die Humboldtstraße war damals nicht die Hauptverkehrsstraße der heutigen Zeit, sondern eine ruhige Wohnstraße im Schatten der Christuskirche. Pfarrer, Ärzte, Kaufleute waren hier vornehmlich zuhause. Das Postgebäude lag auch damals schon gleich nebenan; zudem war in jenen Jahren die Feuerwehr an dieser zentralen Stelle neben der Christuskirche beheimatet.

Im Jahr 1935 starb der Vater - die Familie musste ausziehen

Johann Bohmkamp kannte in Gladbeck jede Menge Leute, und er selbst war ebenfalls ein bekannter Mann mit vielen lokalen Vereins-Beziehungen. So gründete er zum Beispiel den Reiterverein Gladbeck mit, unterhielt eine Jagdhütte in Haltern und zur Silbernen Hochzeit der Eheleute Bohmkamp im Jahr 1933 drängelten sich die Gäste zum Gruppenfoto vor dem Haus an der Humboldtstraße 8.

Hannelore Kunze (88).
Hannelore Kunze (88). © WAZ FotoPool

Klein-Hannelore erlebte das alles hautnah, besuchte die Lutherschule und war also ein waschechtes Gladbecker Innenstadt-Kind.

Die Zeit an der Humboldtstraße endete für sie allerdings schlagartig und tragisch - im Jahr 1935 starb der Vater an Krebs. Die Traueranzeigen für ihn füllten in jenem Jahr in der Gladbecker Zeitung fast eine ganze Seite.

Mutter Mechthilde musste mit ihren vier Kindern aus dem Haus an der Humboldtstraße ausziehen. Sie zogen an die Querstraße - und die Gladbeckerin Hannelore Kunze, geb. Bohmkamp, setzte in späteren Jahren nie mehr einen Fuß in das Haus an der Humboldtstraße, das nach dem Zweiten Weltkrieg - wie so viele andere Gladbecker Gebäude - abgerissen wurde und aus dem Stadtbild verschwand.

Bomben-Volltreffer im Keller des Vestischen Hofes überlebt

In der WAZ-Stadtspaziergangsserie trat Hannelore Kunze zusammen mit ihrem mittlerweile leider verstorbenen Ehemann Gerhard Kunze bereits als Zeitzeuge auf - Hannelore Kunze hat Gladbecker Stadtgeschichte wirklich hautnah erlebt, denn am 29. Dezember 1944 überlebte sie den Weltkriegs-Volltreffer auf den Vestischen Hof im Keller (!) des Vestischen Hofes. Vier Menschen kamen damals in dem Gebäude an der Ecke Mittelstraße/Postallee ums Leben.