Gladbeck. Lothar Kinner erlebte das Flächenbombardement von Gladbeck als Achtjähriger. Nach Tagen im Schutzbunker erkannte er die total zerstörte Wohnsiedlung an der Gonheide kaum wieder

„Wenn die Sirenen geheult haben, wussten wir, jetzt dauert es nur ein paar Minuten, dann sind die Flieger da und die Bomben fallen“, erzählt Lothar Kinner. Der heute 77-Jährige war gerade acht Jahre alt, als Ende März 1945 das Dauerbombardement der Alliierten ganz Gladbeck in Angst und Schrecken versetzte. In Schultendorf an der Gonheide lebte er damals im Vier-Familien-Zechenhaus mit seiner Mutter – der Vater lag als Soldat an der Ostfront in Russland.

„Bei Fliegeralarm, sind wir durch das Schultendorfer Wäldchen an der Berginspektion am Bernskamp vorbei (heute Musikschule) zur Möllerhalde gelaufen, in der ein hunderte Meter langgezogener Stollenbunker angelegt worden war“, erzählt Lothar Kinner. In unmittelbarer Nähe ihres Wohnhause sei zwar der Bunker am Brinskamp gewesen, „in dessen Sicherheit hatte meine Mutter aber nicht so viel vertrauen, wie in die vielen Meter Erde über dem Stollenbunker in der Möllerhalde“.

Damit habe sie wohl recht gehabt, meint der 77-Jährige, wie ein Treffer auf den Brinskamp-Bunker später gezeigt habe, „bei dem viele Menschen starben“. Der Nachteil sei aber der weite Weg zur Möllerhalde gewesen. „Als im März 1945 das Dauerbombardement begann, haben wir es fast nicht geschafft. Etwa 100 Meter vom Eingang entfernt, fielen bereits die ersten Bomben. Wir haben uns wie die mitgelaufenen Nachbarn nur hingeschmissen, die Frauen haben geschrien, wir Kinder geweint. als die Bomben neben uns einschlugen, Dreckfontänen über uns hinwegflogen und der Boden bebte.“

Nicht alle erreichten den rettenden Bunker

Nicht alle schafften es den rettenden Bunker zu erreichen. Wie viele Tage und Nächte sie dann im feuchten Stollen verbracht hätten, wisse er nicht mehr sagt Lothar Kinner, „Nur, dass die Bomben fast ununterbrochen - wie wenn man Eierkohlen aus dem Kasten schüttet - hinabgefallen und eingeschlagen sind.“ Irgendwann sei endlich wieder Ruhe eingekehrt. „Wenig später kamen vom Eingang Kantstraße aus die ersten amerikanischen Soldaten, darunter schwarze GIs, in den Bunker, um nach zu sehen, ob sich deutsche Soldaten unter den Frauen und Kinder verstecken“. Damit war der Krieg auch für den kleinen Gladbecker vorbei.

„Und als wir raus kamen, haben wir die ganze Bescherung gesehen: In Schultendorf war jedes zweite Haus weg und überall Bombentrichter. An unserem Haus war eine Seite komplett zerstört, zum Glück nicht die, in der wir wohnten.“ Weniger Glück habe sein Opa Emil gehabt, der sich weigerte, einen öffentlichen Schutzraum aufzusuchen. Lothar Kinner: „Sein Haus direkt neben dem Brinskamp-Bunker hatte einen Volltreffer erhalten.“

Die schrecklichen Erinnerungen kommen immer wieder

„Wenn wir von der Herbertstraße zum Moltke-Luftschutzstollen gelaufen sind, dann haben wir immer wieder im Dreck gelegen, noch bevor überhaupt die Bomben gefallen sind“, erzählt Johann Öhlschlegel. Der Grund: „Jagdbomber, die die Autobahn als Wegweiser nutzten und nicht nur Flakstellungen, sondern auch uns Zivilisten gnadenlos beschossen haben“, erinnert sich der 79-Jährige.

Als Zehnjähriger sei er damals hin und her gerissen gewesen zwischen Angst und Faszination. Zunächst das Staunen über die großen Fliegerverbände, die im blauen Himmel dröhnend über Gladbeck hinwegflogen, bis das Grauen des Bomberterrors auch das Revier erreichte. „Wenn die Bomben fielen, dann ging ein so starkes Rollen durch den Erdboden, dass Frauen und Kinder im Luftschutzstollen vor Angst geschrien haben.“

Ob das eigene Haus zerstört wurde oder nicht, sei reines Glück gewesen. Und manchmal habe sich dieses oder jene kleine Wunder ereignet. „Zum Beispiel sind in unseren Wohnblock in Brauck, dem kleinen Quadrat zwischen Klara-, Otto- und Herbertstraße mal drei Luftminen gefallen und explodiert. Zum Glück wurde keines der Häuser direkt getroffen, alle standen noch – nur die Fensterscheiben waren weg.“

Schlimm seien auch die Aufräumarbeiten nach den Luftangriffen gewesen, „wenn die Trümmer durchsucht und daraus die Toten geborgen wurden“. Erinnerungen an den Krieg, die man nicht verdrängen könne, sagt Johann Öhlschlegel, „die kommen immer wieder“.