Gladbeck. . Jetzt wurde auch der Kirchturm der Pauluskirche abgerissen. Die beiden Stahlglocken aus dem Jahr 1909 konnten unversehrt aus dem Turm geborgen werden. Anwohner der Roßheidestraße beobachteten die Arbeiten mit leiser Wehmut.
An diesem Mittwochmorgen blickt Helmut Jurczyk (74) zum letzten Mal vom Fenster seiner Wohnung auf den schlichten, weißen Kirchturm der Pauluskirche. Er weiß: Am Abend wird an dieser Stelle an der Roßheidestraße nur noch ein Schuttberg sein. Der Bagger, der den Turm der ersten und ältesten evangelischen Kirche Gladbecks (1909) abreißen wird, bringt sich bereits in Position.
„Das geht mir schon ans Herz“, sagt der Braucker leise. Er steht am Vormittag gemeinsam mit seiner Frau Gerda (74) vor dem Bauzaun und beobachtet die Abrissarbeiten. Helmut Jurczyk wurde in der Pauluskirche getauft, konfirmiert, hat dort geheiratet, seine Kinder und zuletzt einen Enkel taufen lassen. „Und nach dem Krieg habe ich Steine gekloppt für den Wiederaufbau.“ Bei den Bombardierungen war das Kirchenschiff zum Teil zerstört worden.
Mit einem Ruck reißt der Riesengreifarm des Baggers das kleine, spitze Schieferdach ‘runter, greift dann vorsichtig in den hölzernen Glockenstuhl - und zieht. Gerda Jurczyk hält den Atem an, schlägt die Hände vor den Mund und verfolgt gebannt, wie die erste der zwei Glocken mitsamt Gebälk herunter fällt und mit einem dumpfen „Kloing“ im Schuttberg versinkt.
Am Abend vorher haben sie zum letzten Mal geläutet
Der Baggergreifarm verharrt regungslos in der Luft, bis sie vorsichtig geborgen ist und alle Umstehenden erleichtert aufatmen: Das Stahlgehäuse ist unbeschädigt. Dann beginnt der Greifer erneut mit der Arbeit, demontiert den Turm vorsichtig Stein um Stein, bis die zweite Glocke fällt und ebenfalls unversehrt geborgen wird.
Jetzt stehen die beiden, 1909 vom Bochumer Verein in grauen Stahl gegossenen, Glocken aufgebockt auf zwei Steinen vor der Turmruine. „Gestern Abend hat jemand sie noch dreimal zum Läuten gebracht.“ Werner Pollak hat es deutlich gehört. Auch er ist ein Beobachter an diesem Morgen. Er selbst ist Katholik, der Sohn wurde jedoch in der evangelischen Pauluskirche getauft. „Wir verkaufen unseren eigenen Glauben“, bedauert er.
Bauarbeiter sind stolz auf gelungene Rettung
Noch einer ist gekommen, um persönlich Abschied zu nehmen von „seiner“ Kirche: Heinz Lönecker. Er erinnert sich noch an seine Konfirmation vor Pfingsten 1949, denn damals war die Kirche noch nicht fertig aufgebaut, musste Pfarrer Hermann Ötting die Kinder im Anbau konfirmieren. Lönnecker, dessen Vater 20 Jahre Presbyter in der Braucker Gemeinde war, hat die Glocken jahrelang mit der Hand geläutet. Bis in den 60er Jahren die Elektrik eingebaut wurde.
Die Bauarbeiter sind stolz, dass sie die Glocken heile heraus geholt haben. Ein wenig ehrfürchtig zeigt AGR-Bauleiter Gilles Cantin auf die Gravur: „O Land, Land, Land, Höre des Herrn Wort“ (Jer. 22,29).
Dann gibt er dem Baggerführer das Zeichen: Weitermachen. Am Abend ist die Pauluskirche Geschichte.