Gladbeck. Ende der 90er Jahre kämpften die Bewohner der Zechenhäuser an der Brahms-, Händel- und Beethovenstraße vergeblich um den Erhalt ihrer riesigen Gärten, die zugunsten einer Neubausiedlung verkleinert wurden. Heute verstehen sich die Nachbarn bestens.
Dietmar Misch wohnt schon 37 Jahre an der Beethovenstraße, lange war er Mieter, seit 2002 ist er Eigentümer des Zechenhauses in Zweckel. Der 63-Jährige kann sich noch gut an den großen Aufreger Ende der 90er Jahre erinnern, als die Anwohner von Brahms-, Händel- und Beethovenstraße vehement um den Erhalt der riesigen Gärten hinter den Häusern kämpften. Der Kampf ging damals verloren, die bis zu 1000 qm großen Gärten wurden deutlich verkleinert, zugunsten der Neubausiedlung Schönbergstraße.
„Wo früher mein Birnbaum stand, ist jetzt Nachbars Teich“, schmunzelt Dietmar Misch. Die Aufregung hat sich längst gelegt. Dass sein Garten um mehr als ein Drittel geschrumpft ist, sieht er mittlerweile eher positiv: „Jetzt muss ich weniger mähen. Man wird schließlich nicht jünger.“
Seniorengerechte Wohnungen
Bodo Dehmel ist einer der „neuen“ Nachbarn in der einst typischen Gartenstadtsiedlung. 2005 zog er von der Schubert- zur Schönbergstraße, kaufte sich in dem gerade fertiggestellten Sechs-Familien-Haus eine seniorengerechte Wohnung. Er wusste genau, was er tat, hatte er doch in seiner damaligen Funktion als Leiter der städtischen Seniorenberatung dem Bauprojektleiter manch guten Tipp für optimale Altenwohnungen gegeben – von bodengleichen großen Duschen über mehrere Telefon- und Fernsehanschlüsse bis hin zu Treppenliften statt der für ein Sechs-Familien-Haus viel zu teuren Fahrstuhlanlage.
Bodo Dehmel fühlt sich richtig wohl in seiner Wohnung und auch in der Siedlung, obwohl er sie sich ursprünglich etwas anders vorgestellt hatte: „Der Grundgedanke war, an der Schönbergstraße Jung und Alt anzusiedeln, also Oma und Opa im Mehrfamilienhaus, Kinder und Enkel direkt nebenan in den Eigenheimen. Das hat so nicht funktioniert.“ Vielleicht, mutmaßt der 63-Jährige, wollen die Generationen einer Familie gar nicht so dicht beieinander wohnen. „Das stellt sich wohl nur ein Sozialromantiker wie ich als ideale Wohnform vor.“
Junge und Alte wohnen heute dennoch in der Siedlung, auch wenn sie nicht miteinander verwandt sind. Viele Familien mit kleinen Kindern sind in die Neubauten, aber auch in die alten Zechenhäuser gezogen. „Im Sommer hat man manchmal eine Geräuschkulisse wie im Freibad“, sagt Bodo Dehmel – und das klingt ganz und gar nicht genervt. „Kinderlärm stört mich nicht.“
Das sehen offensichtlich alle hier so. „Es hat sich noch nie jemand beschwert“, weiß Dietmar Misch. Das Miteinander funktioniert – auch wenn es nicht mehr so ist wie früher, „als hier jeder jeden kannte“. Heute gibt’s natürlich auch noch gute Bekannte in der Siedlung, aber mit vielen „grüßt man sich eben nur“. Ein gutes Stichwort für Bodo Dehmel: „Ja, das Verhältnis ist gut, aber es könnte intensiver sein“, findet er und denkt sofort laut über die Kinder nach, die, wenn sie etwas älter geworden sind, für die Senioren Einkäufe erledigen könnten, und über die älteren Bewohner, die vielleicht gern mal auf Nachbars Kinder aufpassen würden.
Bodo Dehmel ist überzeugt davon, dass solche Formen des Miteinanders von Jung und Alt angesichts der demografischen Entwicklung absolut notwendig sind, dass es quasi eine Renaissance der klassischen Nachbarschaften geben muss, nicht nur in Siedlungen wie dieser, mit Eigenheimen und Eigentumswohnungen. Und er hofft, dass nicht auch diese Vorstellungen Träume eines Sozialromantikers bleiben.