Gladbeck.

Was ist Familie? Darauf gab es lange Zeit eine einfache Antwort: Familie, das sind miteinander verheiratete Eltern und ihre gemeinsamen Kinder. Aber dieses klassische Bild von „Vater, Mutter, zwei Kindern und womöglich noch einem Hund passt heute oft gar nicht mehr zu der Lebenswirklichkeit vieler Menschen. Darauf müssen wir uns als Kirche, die stark auf Familien ausgerichtet ist, einstellen“, ist Superintendent Dietmar Chudaska überzeugt.

Da­her treibt die Frage des veränderten Familienbilds derzeit evangelische Christen der westfälischen Landeskirche um, wurde und wird auf allen 31 Kreissynoden diskutiert. Fast zeitgleich brachte auch die EKD, Evangelische Kirche Deutschland, ein Papier zum Thema Familie her­aus, das wegen seiner darin geäußerten Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in Kirchenkreisen kontrovers diskutiert wird. Und in den Medien wurde die Familiendiskussion schnell auf das Thema Homoehe reduziert.

Es geht um eine Bestandsaufnahme

„Das wird der Debatte überhaupt nicht gerecht“, rückt Superintendent Chudaska im WAZ-Gespräch das schiefe Bild zurecht. Es gehe in den Diskussionen vielmehr um einen erweiterten Familienbegriff, der vieles umfasst: Mütter, die ihre Kinder allein erziehen, manchmal auch Väter, die das tun. Mütter und Väter, die zusammen leben, aber Kinder aus anderen Beziehungen haben. Verwitwete Eltern, unverheiratete Eltern, ja, auch homosexuelle Paare mit Kindern sind ebenso Familie wie auch Menschen ohne Kinder natürlich Familie haben und leben. Chudaska: „Sich aushalten können in der Verschiedenheit, darum geht es“.

Alle diese unterschiedlichen Familienmodelle zu akzeptieren und sich als Kirche darauf einzustellen, bedeute aber nicht, dass das klassische Familienbild abgelehnt werde, will Superintendent Dietmar Chudaska die Zuspitzung aus der Diskussion nehmen. Das gelte nach wie vor und sei gelebter Alltag vieler Familien. „Wenn jede dritte Ehe geschieden wird, heißt das im Umkehrschluss doch auch, dass zwei Drittel der Ehen halten.“

Nein, in der Diskussion über das erweiterte Familienbild „geht es uns um eine Bestandsaufnahme, wir wollen erfahren: Mit wem haben wir es zu tun, wie leben Menschen zusammen?“ Dazu gehöre im Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten beispielsweise auch die Kenntnis, dass jedes dritte Kind in einer Hartz-IV-Familie aufwächst.

Es gibt für die Evangelische Kirche auch noch weitere, ganz pragmatische Gründe für die Aufstellung eines modernen Familienbilds. „Welche Angebote müssen wir machen, damit Menschen sich in ihrer Lebenswirklichkeit wiederfinden und angenommen fühlen“, nennt Chudaska einen zentralen Aspekt, der in den Kindertageseinrichtungen, „Kristallisationspunkte für Familien“, längst gelebt werde. Dort kämen sämtliche Konstellationen vor.

Gleichgeschlechtliche Ehen sind ein Thema am Rande

Auf der Landessynode 2012 wurde mit einer Vorlage zum Thema „Familien heute?“ das Startsignal für die Diskussion über das Familienbild in der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Lippischen Landeskirche gegeben. Ziel ist, am Ende ein Leitbild zu entwickeln, das einem breit angelegten Familienbild entspricht. In den Kirchenkreisen wird diese Vorlage auf den Synoden und in den Kreisen in diesem Jahr daher breit und auch ganz unterschiedlich diskutiert. Die einzelnen Stellungnahmen der Kirchenkreise werden an das Landeskirchenamt der Evangelischen Kirch in Westfalen weitergeleitet.

Die Frage nach dem Stellenwert gleichgeschlechtlicher Ehen und somit auch Trauungen homosexueller Partner sei übrigens in den meisten Kirchenkreisen überhaupt kein Thema, betont Chudaska. „In unserem Kirchenkreis nicht und auch nicht in Recklinghausen.“ Einzig der Kirchenkreis Gelsenkirchen-Wattenscheid habe einen Antrag zu gleichgeschlechtlichen Trauungen gestellt.

Die gelebte Realität sei vielmehr: „In meiner ganzen 25-jährigen Praxis als Pfarrer habe ich nicht eine einzige Anfrage zu einer homosexuellen Trauung gehabt“, verweist Chudaska das Thema auch durch die eigene Erfahrung an den Rand der Debatte um ein neues Familienbild.

Womit er das brisante Thema nicht vom Tisch wischen will. Chdaska:„Ich wünsche mir aber eine aufrichtige, breite Diskussion in der gesamten Breite, jedoch ohne Zuspitzung.“