Was passiert, wenn ein Kind bei den eigenen Eltern nicht mehr sicher ist, erklärten Mitarbeiterinnen des Gladbecker Jugendamtes im Integrationsrat. Sie erzählten von ihrer Arbeit in den Familien, von Kindern, die in Obhut genommen werden, und erklärten, wie Pflegefamilien ausgewählt werden.
„Die Familie ist für Kinder der wichtigste und der schönste Ort.“ Zumindest für die meisten Gladbecker Kinder, sagt der Leiter des Sozialdezernats, Rainer Weichelt, denn: „Familien sind auch der gefährlichste Ort für Kinder.“
Das Jugendamt muss beurteilen, ob ein Kind in seiner Familie gefährdet ist. „Das vielleicht schwierigste Feld, das eine Stadtverwaltung zu bearbeiten hat“, so Weichelt. Wenn es bei den Eltern nicht mehr geht, sucht das Amt eine Pflegefamilie. Wie so ein Prozess vonstatten geht, erklärten Jugendamtsleiterin Agnes Stappert und ihre Mitarbeiterinnen Lisa Bombeck, Astrid Polenz und Gönül Davraz im Integrationsrat.
Hinweise sind häufig
Häufig gebe es Hinweise auf vernachlässigte Kinder, so Stappert, denen die Mitarbeiter nachgingen. „Die Kollegen gehen immer zu zweit raus“, um die Verhältnisse unter die Lupe zu nehmen. „Es wird immer versucht, mit den Eltern eine Lösung zu finden.“ Bei familiären Problemen kann die Jugendhilfe diverse Angebote machen, etwa Unterstützung durch Familienhebammen, Sozialarbeiter, Therapien, letztendlich auch die Unterbringung des Kindes im Heim oder einer Pflegefamilie.
„Es gibt aber auch immer wieder Kinder, die wir sofort mitnehmen müssen“, sagt Stappert und berichtet von Eltern, die einfach für ein paar Tage verschwinden, die Kleinen sich selbst überlassen. Von Kindern, die in völlig verdreckten Wohnungen leben. „Was die Kinder uns erzählen, ist so furchtbar, das kann man sich gar nicht ausdenken“, sagt Gönül Davraz, die beim Allgemeinen Sozialer Dienst genau solche Fälle bearbeitet. Nach spätestens 48 Stunden wird eine Inobhutnahme dem Familiengericht vorgetragen, das über die weitere Unterbringung entscheidet.
43 Familien überprüft
43 Mal hat das Jugendamt in diesem Jahr bereits Familien überprüft, fünf Kinder wurden anschließend in Obhut genommen, drei von ihnen konnten schon in ihre Familien zurück. 128 Gladbecker Kinder leben dauerhaft in Pflegefamilien. Diese kommen zum Einsatz, wenn sich im direkten Umfeldniemand kümmern kann.
Wer ein Pflegekind aufnehmen möchte, sei es vorübergehend als Bereitschaftspflegestelle oder permanent, kann sich an das Jugendamt wenden. Bei der Auswahl überprüfen die Mitarbeiter das soziale Umfeld der Bewerber, die Lebenssituation – unabhängig von der Herkunft. Der Besuch eines 30-stündigen Vorbereitungskurses ist verpflichtend. „Alle Kinder, die wir unterbringen, haben schon seelische Verletzungen, und die bekommt auch die beste Pflegefamilie nicht weg“, sagt Astrid Polenz. Darauf müssten sich Bewerber einstellen. Genau wie auf die mögliche Trennung vom Kind. Besonders für Bereitschaftspflegestellen könne das schwierig sein, für die Eltern genau wie für Geschwister und Großeltern auf Zeit.
Der Einzelfall Luisa
Luisa ist ein Einzelfall. „So, wie jedes Kind als Einzelfall zu betrachten ist“, sagt Gönül Davraz vom Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD). Das Schicksal des Kindes stellte sie exemplarisch im Integrationsrat vor.
Luisas Mutter, 40 Jahre alt, schwanger mit dem sechsten Kind, suchte Hilfe beim ASD. Fünf Kinder waren bereits bei Großeltern und in Pflegefamilien untergebracht, das sechste, Luisa, wollte sie gern behalten. Die Frau habe ein Alkoholproblem gehabt und sei als gewaltbereit bekannt gewesen.
Vier Wochen vor der Niederkunft wurde sie täglich von der Sozialpädagogischen Familienhilfe betreut, die Zeit nach Luisas Geburt sei gut gelaufen. Der Rückfall kam, als nach einem Jahr die Hilfe reduziert werden sollte. Drei ASD-Mitarbeiterinnen trafen die Mutter, völlig betrunken, in der Innenstadt an. Luisa kam in Obhut, das Familiengericht setzte das Jugendamt als Vormund ein, eine Bereitschaftspflegefamilie nahm das Kind auf. Wöchentlich durfte die Mutter ihr Kind im Jugendamt sehen. Nach sechs Monaten entschied das Familiengericht: Luisa soll dauerhaft untergebracht werden. Vier Wochen habe die „Kontaktanbahnung“ zu den Pflegeeltern gedauert, betreut vom Pflegekinderdienst. Zweimal im Jahr überprüft das Jugendamt in einem „Hilfeplangespräch“, ob sie weiterhin in ihrer neuen Familie bleiben soll, oder eventuell zurück zu ihrer Mutter kann.