Gladbeck. .

Wir befinden uns im Jahr 2013 nach Christus; die Welheimer Straße im Quartier Franz-/Johannesstraße in Brauck ist fest in der Hand der Moderne. Das gesamte Quartier? Nein, eine Bewohnerin hört nicht auf, der schnelllebigen Zeit ein bisschen Widerstand zu leisten. Ulrike Turek lebt noch in einem Haus, das seit Generationen in Familienbesitz ist – als solches das letzte im Viertel.

Seit mehr als 100 Jahren ist ihr Heim im Besitz ihrer Familie. Bergschäden haben ihre Spuren hinterlassen. Viele Zechenhäuser wurden einst auf diesem Grund und Boden errichtet. „Mittlerweile sind ringsum alles Mietshäuser mit einer hohen Fluktuation“, erzählt die 59-Jährige, „hier um die Franzstraße herum ist alles neu bebaut.“

Bergleute hatten sich einst in dem Gebiet angesiedelt. Die studierte Kommunikationswissenschaftlerin erinnert sich: „Die Franzstraße war eine reine Steigerstraße.“ Auf der Zeche – „hier war alles Moltke III/IV“ – verdienten die meisten ihre Kohle. „Die Kokerei lag keinen Kilometer entfernt: Die Häuser waren grau, die Wäsche, die man zum Trocknen aufhängte, war auch grau“, plaudert sie.

Den Birnbaum pflanzte die Oma

Heutzutage, „da habe ich das Empfinden, dass die Luft sehr viel besser ist“. An anderes denkt Turek mit Wehmut zurück. Denn das Umfeld hat vor den Anforderungen der Moderne kapituliert. Vorbei die Zeiten, in denen das Mädchen mal eben zum Kaufmann um die Ecke hüpfte und Rübenkraut kaufte. Gleich zwei Tante-Emma-Läden gab’s einmal in der Nachbarschaft. Und „noch einige Kioske“! Heutzutage gehe alles mehr in Richtung Büros; mit dem Nahversorgungsangebot sei es nicht mehr weit her. Damals hatten die Tureks und ihre Nachbarn alles, was sie brauchten, in ihrer Nähe.

Apropos Nachbarn: „In meiner Kindheit saß man noch gemeinsam auf dem Hof und spielte Quetschkommode.“ Hühner und Kaninchen hielten die Familien hinter ihren Häusern. Und auch Ulrike Tureks (Groß-)Eltern waren zum Teil Selbstversorger. Porree, Schwarzwurzeln, Bohnen sowie Kräuter – Kresse, Dill, Borretsch – und fast vergessene Sorten wie Melde wuchsen hinter dem Elternhaus in dem großen Garten. Möhren aß Ulrike direkt aus dem Boden.

Dieses mehrere hundert Quadratmeter große Areal hätten anno 2013 geschäftstüchtige Menschen vielleicht zerstückelt und an neue Bauherrn verkauft. Ulrike Turek hingegen hält ihr grünes Händchen über ihr kleines Paradies. Von der vielbefahrenen Welheimer Straße dringt kaum ein Mucks herein. Der Birnbaum „von Oma“ hat 90 Jahre auf der Rinde, eine Araukarie bringt es auf 60 Jahre. Leise plätschert irgendwo ein Bächlein durch die dichte (exotische) Pflanzenwelt. Über dem Teich mit den Seerosen, der einstigen Jauchegrube, schwirren winzige Insekten. „Der Garten war immer eine Oase, die hat mein Vater angelegt“, sagt Ulrike Turek über den verstorbenen Mathematiker. Wie der Hobby-Botaniker züchtet auch die Tochter Pflanzen. Hier scheint die Welt stehen geblieben zu sein in den Jahren ihrer Vorfahren. Ein Hort der Ruhe in moderner Hektik . . .