Gladbeck. .
Schon ein einziger Tag unter diesen Mädchen und Jungen dürfte eine Lehrstunde für Pauker (ur-)alter Schule sein. Denn hier an der Erich-Kästner-Realschule (EKS) ist so manches anders als in anderen Bildungsstätten. Eine Unterrichtsstunde dauert 65 Minuten statt anderenorts eine Dreiviertelstunde – und die Schüler finden’s klasse. Keine Glocke schrillt. Und Ehrenrunden, die gibt’s hier auch nicht, ebenso wenig wie Ausfallstunden.
Schüler helfen Schülern
Dafür aber nachmittags Unterricht und Sätze wie „Nicht Schulnoten machen einen Menschen aus, sondern seine Persönlichkeit!“. Und: „Jeder hat Fähigkeiten, die man wertschätzen sollte.“ Klingt wie schönstes Pädagogen-Deutsch. Doch in der Erich-Kästner-Schule kommt er von der anderen Seite des Lehrerpults, von der Zehntklässlerin Nihal Akkaya: nicht auswendig gelernt, um Besucher durch Wortgeklingel für die Braucker Einrichtung zu gewinnen.
Das hat die 16-jährige Schulsprecherin gar nicht nötig. Die Erfolge des gut 40-köpfigen Lehrer-Kollegiums mit Gerd Weggel an der Spitze sprechen für sich. An den Wänden reihen sich Auszeichnungen an Auszeichnungen. Und was für Besucher noch beeindruckender ist: Im Gespräch geraten Nihal und Jugendliche, die wie sie die EKS in Gladbeck und weit über die Stadtgrenzen hinaus repräsentieren, ins Schwärmen.
Nihal Akkaya wohnt wie ihre „Kollegin“ Sabire Kapkac in Gelsenkirchen-Horst. Mit zu ihrer Runde gehören auch Neval Koca, Cigdem Isik aus Brauck; allesamt haben sie türkische Wurzeln. Melissa Schweizer kommt täglich aus Essen-Borbeck zur Realschule in Brauck. Mit-Repräsentatin Mandy Raben erzählt, dass ihre Eltern sie auf die EKS geschickt haben, weil diese auch außerhalb Gladbecks einen 1a-Ruf genieße. Das eint die Truppe der 16- und 15-Jährigen, die viele Gemeinsamkeiten haben.
Himmelblaue Schulblusen mit dem Emblem der Schule tragen die Jugendlichen. Locker plaudern sie aus ihrem Alltag, in dem nicht nur Mathematik, Deutsch und Englisch auf dem Stundenplan stehen. „Schüler helfen Schülern“, lautet ein Motto, das sie mit Leben füllen. Sabire gibt beispielsweise Nachhilfe in Mathematik. Melissa und Mandy sind Lernpaten und stehen Fünftklässlern zur Seite. Schließlich sollen alle Solidarität lernen, Verantwortung für andere übernehmen. Schulleiter Weggel: „Ein behutsamer Umgang miteinander ist uns wichtig. Man versteht sich.“ Die Mädchen nicken zustimmend.
Spitzen-Schülerinnen
Spitzen-Schülerinnen sind sie alle. Cigdem Isik erzählt: „Nihal und ich haben uns für ein Stipendium der Hertie-Stiftung beworben.“ Ob sie den Zuschlag erhalten? Bis zu den Sommerferien soll die Antwort im Briefkasten landen. Klar ist allerdings jetzt schon: Das Gros der Gruppe möchte aufs Gymnasium wechseln, Abitur machen und (vielleicht) studieren.
Also sind’s Schülerinnen, die den lieben, langen Tag ihre Nase in die Bücher stecken und büffeln? Oder denen der schulische Erfolg in die Wiege gelegt wurde? Beide Vermutungen treffen nicht zu. Als Klassensprecherin, in der Schülerfirma, in Musik, Sport oder als Mitglied im Jugendrat der Stadt sind sie aktiv. Ihre Eltern kennen in manchen Fällen den Lehrstoff nicht, sind also beispielsweise bei Hausaufgaben keine Hilfe. Und ein eigenes Zimmer hat auch nicht jede, da muss auch mal der Küchentisch ausreichen. Doch sie sind überzeugt: Mit der richtigen Förderung kann man’s schaffen an der Kästner-Realschule. Deswegen würden die Mädchen ihr eine glatte Eins geben.