Wenn sich am 1. Mai auf dem Marktplatz der Demonstrationszug in Bewegung setzt, werden sich wie in zig Jahren zuvor etliche bekannte Gesichter einreihen. Frauen und Männer wie Roger Kreft, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Gladbeck, machen sich auf den Weg zur Mai-Kundgebung in die Mathias-Jakobs-Stadthalle.

Was es mit dem 1. Mai auf sich hat? Auf der Stirn der Jugendlichen sind Fragenzeichen fast lesbar. Zaghaft, tastend kommt die Antwort: Tanz in den Mai? Feiertag – damit man sich ausschlafen kann nach der ausgiebigen Feierei? Das Gegenteil sollte der Fall sein, wünschen sich Gewerkschafter wie Kreft. Hellwach wollen jene sein, die auf die Straße gehen. Ihr Ziel lautet: Aufrütteln! Auf Missstände für Arbeitnehmer, in der Gesellschaft, hinweisen. Verbesserungen einfordern. Das war und ist immer noch die Marschrichtung für die Beteiligten der Aktionen am „Tag der Arbeit“. Dafür arbeiten in Gladbeck DGB, christliche Kirchen und islamische Gemeinden am 1. Mai Hand in Hand.

Misstrauisch und vorsichtig

Die jüngere Generation, das ist augenfällig, ist bei Umzügen und Kundgebungen zum Tag der Arbeit nicht in dem Maße vertreten wie es sich Kreft, selbst Vater von erwachsenen Kindern, und seine Mitstreiter wünschen. Sind die politischen Ziele und Hintergründe vielleicht im Laufe der acht Jahrzehnte ebenso verschütt gegangen wie die Bedeutung dieses Feiertages unter jungen Leuten? Oder sollten diese gar keinen Grund mehr dafür sehen, für ihre Anliegen zu kämpfen? Damit wäre der „Tag der Arbeit“ mit seinen Forderungen überflüssig.

Mitnichten dürfte letzteres der Fall sein, ein Blick auf Krefts Lagebericht spricht eine andere, alarmierende Sprache. Kreft: „Rund 17 000 Menschen unter 25 Jahren sind im Emscher-Lippe-Gebiet auf Hartz IV angewiesen, etwa 60 000 unter 25 Jahren sind ohne Beschäftigung – das ist erschreckend, darüber muss man sprechen.“

Doch was ist mit den Betroffenen? Sind sie verstummt? Wenn ja: aus welchem Grund? Kreft, Jahrgang 1955: „Ich will nicht sagen, dass die Jugend kein Interesse an politischen Themen hat.“ Sie sei schlichtweg sehr kritisch geworden und beobachte viel. „In der Politik fehlen Vorbilder“, meint der Gladbecker DGB-Mann. Und: „Durch die gesellschaftlichen Probleme sind junge Leute heutzutage sehr misstrauisch.“ Resignation erkennt Kreft. Allesamt Aspekte, die von politischem Engagement abschrecken, vermutet er.

Da drängt sich das Schlagwort „Politikverdrossenheit“ als Hürde geradezu auf. Das möchte Kreft nicht abstreiten. Als einen weiteren möglichen Grund, den Mund zu halten, führt er an: „Jugendliche haben bei den wenigen Ausbildungsplätzen Angst um ihre Übernahme.“ Hinzu komme vermutlich auch eine gewisse Scheu, auf die Straße zu gehen – im Zeitalter von Internet lässt sich anno 2013 auf anderem Wege Kritik äußern als beispielsweise in den 1970er Jahren.

Demonstrationszüge und Kundgebungen – spricht das überhaupt noch junge Menschen an? Die Kultur des Protestes habe sich gewandelt, so Kreft. Ihm schwebt eine „gesunde Mischung, auch für Jugendliche“ bei dem Programm vor. Es sei allerdings wichtig, nicht die Bedeutung des Tages aus den Augen zu verlieren. Schließlich stehen Pro­bleme wie (Jugend-)Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und Altersarmut auf der Agenda.

Ein Familienfest mit Halligalli ohne politischen Bezug, „da geht die Ernsthaftigkeit verloren.“ Zumal derartige Veranstaltungen auch eine Kosten- und Organisationsfrage seien – „für ein Familienfest sind so viele polizeiliche Regularien zu erfüllen...“ Eine Überlegung sei es aber wert, vielleicht auch einmal die Aktivitäten vor der Stadthalle statt nur im Gebäude durchzuführen.