Gladbeck. .
Der leichte Wind lässt Schneeflocken tanzen. Federleicht schweben sie dem grauen Asphalt entgegen, bevor sie sich auf dem Boden in Luft auflösen. Das himmlische Weiß schwebt auf Zweckeler Erde nieder, in der einst Bergleute im Schweiße ihres Angesichts malochten, um das schwarze Gold ans Tageslicht zu befördern. Der Blick von Harald Kutsche und Ehefrau Christa aus dem Fenster fällt auf die Feldhauser Straße. Seit 1962 leben der ehemalige Steiger und die Ur-Zweckelerin hier. Mit diesem Fleckchen Erde fühlen sie sich verbunden – und mit dem Bergbau, der ihr Leben prägte. Viele Erinnerungen sind an diese arbeits- und ereignisreichen Zeiten geknüpft. Auch jener schwarze Tag, an dem es zappenduster wurde auf der Verbundschachtanlage Zweckel/Scholven, ist unvergessen: Heute jährt sich zum 50. Mal die Schließung der Zeche Zweckel.
Der Anfang vom Ende
Diese Entwicklung hatte einen Vorboten, der Böses ahnen ließ: Im November 1961 beschloss der Hibernia-Aufsichtsrat, die Seilfahrt zur Personenbeförderung ab April 1962 von Zweckel nach Scholven zu verlegen. „Da habe ich sogar alte U-Boot-Kämpfer weinen sehen“, erzählt der gebürtige Niederschlesier. Diese bewegende Situation hat sich ins Gedächntnis eingebrannt. Männer, die wie er selbst einen steinigen Lebensweg zurücklegen mussten, zeigten offen ihre Gefühle ... „Wir haben oben gesessen und geheult“, entsinnt sich Kutsche.
Als Junge war Kutsche mutterseelenallein 1950 per Fahrrad von Ost nach West geflüchtet, er schlug sich in der Fremde, auf sich gestellt, durch. „Eigentlich bin ich ja ein Landkind. Ich habe davon geträumt, Landwirt zu werden“, gesteht er. Doch als er „rübermachte“, war für ihn klar: Dieser Traum bleibt ein Traum. Was dem Jungen blieb? „Der Bergbau brauchte Arbeitskräfte, da nahmen sie auch 14-jährige Jungs.“
„Auf Pütt zu gehen, war die einzige Möglichkeit, auf eigenen Füßen zu stehen“, ergänzt Ehefrau Christa( 72), „seine Mutter kannte hier jemanden, und so kam er Gladbeck.“ Familien nahmen „uns Jungs“ als Kostgänger auf, so Kutsche. Der Berglehrling schuftete, schaffte es schließlich bis zum Gruppensteiger. „Dass ich in Zweckel einfuhr, war Zufall, es hätte auch Moltke sein können“, stellt er klar. Auf Gladbecker Boden fand der junge Mann als einer von gut 2000 Kumpels nicht nur Arbeit, sondern auch eine neue Heimat und seine Liebste. Bei den Mathes, eine waschechte Zweckeler Bergmannsfamilie, hatte er bald einen Stein im Brett – er heiratete Christa im Jahre 1960.
Die Einstellung der Personen-Seilfahrt bedeutete: Kutsche & Co. konnten ihre Arbeitsstellen unter Tage nicht mehr von Zweckel aus erreichen, „wir mussten in Scholven einfahren“. Doch es zogen noch schwärzere Wolken über ihnen auf. Die Entscheidung fiel im Aufsichtsrat am 15. Oktober 1962: Die Anlage Zweckel/Scholven wird zum 1. März 1963 dichtgemacht. Christa Kutsche hat die Stimmung seinerzeit nicht vergessen: „Es herrschte überall Betroffenheit.“ Ihr Mann drückt es deftiger aus: „Wir hatten einen Mordszorn in den Backen.“ Er sagt aber auch: „Der Abschied war bitter, wir hatten eine sagenhafte Kameradschaft.“ Die Zweckeler Kumpel — Kutsche kam nach „General Blumenthal“ in Recklinghausen – wurden auf andere Zechen verteilt. Doch auch das Ende dieser Zechen-Standorte nahte...