Gladbeck. .

Gar schlecht erging’s dem Zappel-Philipp. Er hatte sich aber auch sehr ungezogen verhalten. Wie schrieb Heinrich Hoffmann in seiner populären Geschichte: „,Ob der Philipp heute still/wohl bei Tische sitzen will?’ Also sprach in ernstem Ton/der Papa zu seinem Sohn/und die Mutter blickte stumm/auf dem ganzen Tisch herum.“ Das Ende vom Lied ist bekannt: Philipp zappelt und zerbricht sogar die Suppenschüssel, so dass die Eltern zornig werden.

Über Wissen zum Handeln

Das spielte sich im Buch 1845 ab – und ähnlich auch in manchen heutigen Familien. Nur, dass Fachleute wie Schulsozialarbeiterin Erika Blaszka und Diplom-Psychologin Sylvia Brunert, Leiterin der Caritas-Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche, nicht das Augenfällige – das „schlechte Benehmen“ des Jungen – registrieren, sondern tiefer blicken. Vielleicht ist Philipp ja ein AD(H)S-Kind?

Dann könnte ihm heutzutage geholfen werden – vorausgesetzt, seine Eltern finden den Weg zu kompetenten Experten, die informiert sind über Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörungen – kurz: AD(H)S. Und das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit, wie Blaszka, Schulsozialarbeiterin an der Ingeborg-Drewitz-Gesamtschule, weiß: „Häufig haben Eltern eine richtige Odyssee hinter sich, bevor ihnen geholfen wird.“ Kinderärzte, die auffälliges Verhalten abtäten mit einem „Das wächst sich aus!“ seien keine Seltenheit. Die Bandbreite der Reaktionen reiche von Nichtstun bis zur Verschreibung von Medikamenten.

AD(H)S würde immer noch oftmals als „Modeerkrankung“ vom Tisch gewischt, haben die beiden Expertinnen festgestellt – häufig wohl aus Unwissenheit. Brunert: „Wenn die Kinder in die Schule gehen, ist das in vielen Fällen der Auslöser, dass die Eltern Hilfe suchen.“ Sie hat festgestellt: „Eine erste Anlaufstelle ist häufig die Gladbecker Selbsthilfegruppe Zappelphilipp.“ Aber auch bei ihr in der Beratung sei AD(H)S ein großes Thema. Wann ist ein Kind betroffen? Liegt vielleicht gar eine andere Ursache für auffallend unkonzentriertes, hyperaktives Verhalten vor?

Sogar Lehrer hätten Informationsdefizite, wüssten mit betroffenen Mädchen und Jungen nicht umzugehen. Das Regionale Netzwerk AD(H)S Gladbeck hat sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, Kenntnislücken zu stopfen. Denn, so Blaszka, über das Wissen könne der Weg zu einem Handlungsrepertoire für Kind, Eltern und auch Lehrer führen. Das ermögliche einen Umgang mit AD(H)S. Deswegen engagiert sich die Schulsozialarbeiterin für regelmäßige Lehrer-Fortbildungen. Sie will außerdem ab 2013 bei interessierten Schulen eine Sprechstunde für Eltern und Lehrer einrichten. Kontakt: 94 05 45 (Ingeborg-Drewitz-Gesamtschule).