Gladbeck. .

Ein Coiffeur wirft automatische einen Kennerblick auf die Frisur eines Menschen; einer Schneiderin sticht ein schluderig genähter Kragen geradezu ins Auge. Und das Auge eines Orthopädischen Schuhmachers wandert schnurstracks von Kopf zu Fuß seines Gegenübers – eine Berufskrankheit. Schultern, Becken und Bewegungsabläufe verschaffen einem Meister des Fachs wie Ralph Böhm einen Überblick, wo Probleme auftreten. Der 44-Jährige erkennt, wo der Schuh drückt.

„Einen geeigneten Meister für meine anspruchsvolle Kundschaft zu finden“, sagt Adi Raible, „war nicht so einfach.“ Nachwuchs in dem Metier? Ein klares „Nein!“ ist die Antwort. Der Mangel an Bewerbern war die eine Hürde, die Raible überwinden musste. Eine Qualifikation, die über das rein Handwerkliche hinausgeht, eine zweite.

Denn mit einem 08/15-Meister war ihm nicht gedient: Der Neuzugang in der Werkstatt an der Horster Straße sollte nicht nur fachliches Können und spezifisches Wissen mitbringen, sondern auch die Fähigkeit und Bereitschaft, sich ins dreiköpfige Raible-Team einzugliedern. Kurz­um: Qualifikation und zwischenmenschliche Chemie müsse­n stimmen.

„Arbeitsamt hat super geholfen“

Adi Raible lobt: „Das Arbeitsamt hat mir bei der Suche super geholfen.“ Bei Ralph Böhm passte alles, wie es sich der Chef gewünscht hatte. Zu seinem jetzigen Metier kam der Olfener durch puren Zufall. Eigentlich hatte der 44-Jährige ursprünglich ein ganz anderes Berufsziel vor Augen: Vermessungsingenieur wollte er werden. Stattdessen absolvierte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung zum Orthopädie-Schuhmacher, um anschließend eine einjährige Vollzeitausbildung an der Meisterschule in Hannover zu absolvieren.

„Man muss viel im medizinischen Bereich wissen“, erläutert der 44-Jährige. Ob es daran liegen kann, dass der Nachwuchs in seinem Fach so außerordentlich rar ist? Raible und Böhm gehen eher davon aus, dass vielen Schulabgängern das Berufsbild des Orthopädischen Schuhmachers vollkommen fremd ist. Was macht der überhaupt? Vertreter dieses medizinischen Ausbildungsberufes bemühen sich, Leiden von Patienten zu lindern, die beispielsweise an Behinderungen oder Deformierungen leiden. Der Experte bringt seine Aufgaben auf die Formel: „Sichern, stützen, betten und korrigieren.“

Kindersektor wächst

Bekommt Böhm ein Rezept auf den Tisch, kann er nicht eine strikte Marschroute befolgen, oft „muss man ein bisschen um die Ecke denken“. Deswegen kommen bei ihm als Orthopädischem Schuhmacher drei Eigenschaften besonders stark zum Einsatz: „Handwerkliches Geschick, Liebe zum Detail und Vorstellungskraft.“ Raible ist daher überzeugt: „In diesem Beruf werden die Werkstatt-Mitarbeiter mit zunehmendem Alter immer besser.“

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Einlagen und Material füllen Schubladen, Gipsabdrücke, Schäfte und Hammer gehören ebenso zum Handwerkszeug wie Leim und diverse Maschinen. Der Mann mit der langen Schürze hat gerade einen Stiefel in Arbeit, bei dem auch der Laie auf einen Blick erkennt: Dieses Modell kann nur einem ganz bestimmten Menschen passen. Am Ende steht schließlich ein Unikat.

„Der Kindersektor wächst“, stellt Raible fest. Für orthopädische Probleme kann es vielerlei Ursachen geben, denn: „Der Fuß ist zwar leidensfähig, aber er vergisst nichts!“ Bewegungsmangel könne zu Schwierigkeiten führen, aber auch Diabetes — „das ist mit rund 7,5 Millionen Betroffenen die größte Zivilisationskrankheit in Deutschland!“ Raible und Böhm peilen mit ihrer Arbeit ein Ziel an: „Für uns ist es schön, wenn wir bei einem Patienten die Mobilität verbessern oder wieder herstellen können.“