Gladbeck.
„Geboren, um zu leben“, wummert über die großen Boxen in der proppevollen Stadthalle. Zehntklässler aus dem Heisenberg- und Ratsgymnasium und der Anne-Frank-Realschule sitzen hier. Wie schon die Klassen anderer Gladbecker Schulen am Morgen sind auch sie eingeladen zur Veranstaltung „Crash Kurs“. „Was uns erwartet, wissen wir nicht“, sagt Anna (15), „nur dass es um Unfälle geht.“ Als wenig später eine Dia-Schau abläuft, wird anfangs noch gewitzelt. Dann wird es stiller, und irgendwann fließen auch erste Tränen.
Schreckliche Unfallszenen
Nicht umsonst hatte Moderator und Verkehrspolizist Detlev Marx zuvor gebeten: „Wer in letzter Zeit einen Verkehrsunfall miterlebt hat und noch darunter leidet, sollte bitte nicht teilnehmen.“ Schnell wird klar warum. Die Fotos zeigen schreckliche Unfallszenen. Total deformierte Unfallwagen, zerstückelte Motorräder. Auf Landstraßen, um Bäume gewickelt, in Leitplanken gerast. Frontalzusammenstöße in der Stadt, auf großen Kreuzungen oder in Nebenstraßen. Verletzte Menschen sind nicht zu sehen. Der Gedanke, dass in den zerfetzten Wracks jemand gesessen haben muss, ist schrecklich genug.
Grausige Bilder, nicht von irgendwo weit weg, „sondern alle hier aus dem Kreis Recklinghausen, auch aus Gladbeck“, sagt Detlev Marx. Mit Unfallopfern, von denen nicht alle überlebt haben. Menschen, um die getrauert wird, wie weitere Fotos zeigen. Blumen, ein Teddybär oder ein Stoffherz um ein Kreuz drapiert; manchmal auch mit Botschaften: „Wir vermissen dich“, „Wir werden dich nie vergessen“. Todesorte von jungen Fahrern. Ihre Namen: Justin, Pascal oder Marcel. Spontan drehen sich einige Schüler um, suchen den Klassenkameraden mit gleichem Namen. Plötzlich ist der Tod, der für die 15-/16-Jährigen eigentlich noch so weit weg ist, ganz nah.
Und er rückt noch ein Stück näher, als nacheinander die Helfer der Rettungskette Polizist, Rettungssani, Notarzt und Notfallseelsorger die Bühne betreten, um von ihren Erlebnissen zu berichten. Darunter Ralf Retzlaff, der zum schweren Verkehrsunfall auf der B224, Ecke Phönixstraße gerufen wurde. Ein 22-jähriger BMW-Fahrer war nach dem Streit mit der Freundin in zwei Autos gerast, die vor der roten Ampel standen. Der Notarzt aus Gladbeck kümmerte sich um eine 22-Jährige, die neben einem Autowrack den Kopf ihrer leblosen Schwester im Schoß hielt. „Sie hat immer wieder gefleht“, erzählt Retzlaff, „bitte, bitte helfen Sie meiner Schwester. Mein Bruder ist doch schon vor zwei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen.“ Doch Retzlaff konnte nicht mehr helfen, die 25-Jährige starb an den schweren Verletzungen.
Worte, die ans Herz gehen
Worte, die schocken, die ans Herz gehen. Und das will der Crash-Kurs. Nämlich die Autofahrer von morgen sensibilisieren, verantwortungsvoll am Steuer zu sitzen - ohne zu rasen, ohne Alkohol, Drogen oder mit Handy am Ohr. Eine Botschaft, die ankommt: „Das hat mich emotional voll getroffen“, meint Till (15). „Auch beim Fahrradfahren lass ich jetzt lieber das Handy weg.“ Dann wummer wieder Sänger „der Graf“ aus den Boxen: Geboren um zu leben...