Gladbeck. Genau 437 Straßen hat unsere Stadt, die sich meist um ein mehrfaches kreuzen. Sie zu überqueren ist für Sehende kaum ein Problem, für Blinde oder Sehbehinderte schon. Gut, wenn es dann mit akustischen Signalen ausgerüstete Fußgängerampeln gibt, die Grünphasen hörbar anzeigen. „Das könnten in Gladbeck aber mehr sein“, hatte der sehbehinderte Friedhelm Weinhold (61) gegenüber unserer Zeitung kritisiert. Stimmt: „Im gesamten Stadtgebiet gibt es fünf Akustik-Ampeln“, bestätigt Stadtsprecher Peter Bresser-Barnebeck.
Die Ampeln „ticken“ ausschließlich am nördlichen Zugang zur Fußgängerzone entlang der Wilhelmstraße. An den dortigen Kreuzungen mit der Friedrich-Ebert-, Goethe-, Horster-, Markt- und Grabenstraße. Danach bleibt der Blinde wieder sich selbst überlassen. Spezielle, mit dem Blindenstock zu ertastende Riffelsteinlinien in der Fußgängerzone gibt es nicht. Gerade sie könnten Leitfunktionen zu wichtigen Gebäuden (Rathaus, Gericht) übernehmen.
Gesamtkonzept fehlt
Ein großes Gesamtkonzept der Stadtraumgestaltung für Sehbehinderte fehle bislang in Gladbeck, sagt Marvin Kamrath. Für den Vorsitzenden des Blinden- und Sehbehindertenvereins aber kein Grund, mit der Stadtverwaltung zu hadern. „Natürlich wünschten wir uns den Idealzustand, dass alle Fußgängerampeln an großen Zugangsstraßen wie auch der Bottroper- oder Erlenstraße akustisch ausgerüstet sind, aber wir sehen auch ein, dass der Stadt die Mittel fehlen.“ Rund 10 000 Euro koste jeweils die Ausrüstung mit akustischem Signalgeber.
„Ein Mobilitätstraining ist für Blinde ganz wichtig“
Marvin Kamrath empfiehlt allen, die erst akut eine Sehbehinderung oder eine Erblindung erleiden, ein Mobilitätstraining. Hierbei werden das Verhalten mit Blindenstock auf öffentlichen Wegen und Straßen sowie spezielle Gefahrensituationen geübt.
Der Gladbecker Blindenverein vermittelt gerne diese Trainingskurse, die von der Krankenkasse bezahlt werden.
Trotz aller Kritik unterstreicht Marvin Kamrath das gute Verhältnis zur Stadtverwaltung, die den Blindenverein durchaus in Entscheidungsprozesse einbinde. Der Aufzug im Neuen Rathaus verfügt so beispielsweise über eine Sprachansage.
Interessierte sind herzlich zum Treff des Blindenvereins an jedem ersten Donnerstag des Monats, um 15.30 Uhr, im Haus der VHS, Seminarraum 2, Friedrichstraße 55, eingeladen. Kontakt über Marvin Kamrath 4 57 15.
Hinzu käme, dass die Gruppe der Blinden und stark Sehbehinderten, gemessen am gesamten Bevölkerungsanteil der Stadt, „mit 150 bis 200 Betroffenen nicht sehr groß ist“, so Kamrath. Der aber anmahnt, „dass aufgrund der demografischen Entwicklung und gestiegenen Lebenserwartung sich auch diese Zahl künftig erhöhen wird“.
Es sei wünschenswert, dass sich die Gesellschaft mehr auf schlechter sehende Mitbürger einstellt sagt Marvin Kamrath. Denn vieles, was als modern allgemein begrüßt wird, ist für Blinde ein Rückschritt. Ein Beispiel: Die schon Anfang der 90er Jahre erfolgte, verkehrsberuhigte Zone vor dem Rathaus. Für Fußgänger ein Segen, für Blinde ein Verlust. „Denn dadurch verschwand die einstige Fußgänger-Signalampel vor dem Rathaus“.
Und ein weiteres Sorgenkind sind die allerorten neu errichteten Kreisverkehre. Als bessere Alternative für einen reibungsloseren Verkehrsfluss gefeiert, „sind die ampellosen Kreuzungen für Blinde eine Katastrophe“, sagt Marvin Kamrath. Statt Ampeln gebe es zwar Fußgängerüberwege, die aber kein Garant dafür seien, dass die Autos wirklich stoppen. Ein Sehender könne das erkennen, ein Blinder kaum. „Auch keine heransausenden Radfahrer“, so der 63-Jährige, „bei denen ist das Schlimme, dass man sie nicht mal hört.“
Marvin Kamrath hat indes eine sichere Methode gefunden. „Ich gehe nur mit persönlichem Navi raus. Am Arm meiner Frau.“