Gladbeck. .
Sigismund von Radecki? Der Autor sagt heutzutage selbst literarisch bewanderten Lesern wenig. Den Gladbeckern allerdings ist zumindest der Name des Schriftstellers ein Begriff, wurde doch sogar eine Straße nach ihm benannt. In Gladbeck Ost findet sich der Sigismund von Radecki Weg. Was vermutlich nur Wenigen bekannt sein dürfte: von Radecki, 1891 in Riga im Baltikum geboren, hat nie wirklich in Gladbeck gelebt, er ist aber hier gestorben und fand 1970 seine letzte Ruhestätte auf dem katholischen Teil des Zentralfriedhofs. 1992 gestand der Rat der Stadt dem Übersetzer, Journalisten und Satiriker sogar ein Ehrengrab zu. Was bedeutet, dass Radecki auf ewig dort begraben sein darf und die Stadt die Grabpflege übernimmt. Ebenfalls auf ewig.
Nur drei Ehrengräber
Zur Einordnung: Es gibt nur drei Ehrengräber in Gladbeck, alle auf dem katholischen Teil des Zentralfriedhofs: Das von Amtmann Wilhelm Korte, das der sechs beim Moltke-Zechenunglück 1949 verstorbenen Bergleute (Marian Ring, Wilhelm Weyrath, Hugo Kuhnke, Walter Schroer, Wilhelm Lux und Gotthard Kolcan), und das von Sigismund von Radecki.
Radecki war sozusagen „ein Lastminute-Gladbecker“, umschreibt der Leiter des Literaturbüros Ruhr Gerd Herholz die Umstände der kurzen Verweildauer des posthum Geehrten in der Stadt. Er selbst hat den Schriftsteller nie kennen gelernt. Sein Werk, das aus einer Vielzahl von Satiren, Glossen, kleinen Prosastücken und Essays besteht, ist ihm allerdings vertraut. Dazu hat Ruth Weilandt-Matthäus, auch eine Wahlgladbeckerin ganz entscheidend zu beigetragen. Sie verband eine jahrzehntelange, enge Freundschaft mit Radecki und sie holte den schwer nierenkranken Freund Anfang des Jahres 1970 von Zürich, wo er seit Kriegsende gelebt hatte, nach Gladbeck. Er sollte hier im im Barbara-Hospital behandelt und gesund werden. Am 13. März 1970 starb von Radecki jedoch.
Glühende Verehrerin
Dass sein Werk und Schicksal überhaupt in Gladbeck so bekannt wurden, ist eben dieser Freundschaft mit Ruth Weilandt geschuldet. Sie hielt sein Andenken und die Erinnerung an den Autor bis zu ihrem eigenen Tod im Jahr 2005 lebendig, verwaltete seinen literarischen Nachlass, gab Bücher mit seinen Werken heraus, veranstaltete Lesungen und war häufiger Gast im Literaturbüro. Herholz: „Sie war seit Anfang der 60er Jahre eine glühende Verehrerin von Radecki.“
Und nicht nur das. Vielleicht war zwischen der Frau des Reisebürokaufmanns Johannes Weilandt und dem scharfzüngigen Satiriker sogar mehr als nur Freundschaft. Herholz ist davon überzeugt: „Das war eine Liebesgeschichte“, die es wert sei, erzählt zu werden. Was Herholz nun, sieben Jahre nach Ruth Weilands Tod getan und im Internetportal www.revierpassagen.de veröffentlicht hat.
„Ruth, Sigismund und Johannes auch – eine Liebesgeschichte“ hat er die heitere, im munteren Stil geplauderte Erzählung genannt. Ein Stück Kurzprosa, das in seiner Kürze ein wenig auch als Hommage an den Schriftsteller Radecki zu verstehen ist. Er war ja ein Meister der kurzen Form, hat nie lange Texte verfasst.
Ruth Weilandt hätte das sicherlich so verstanden und für gut befunden. Sie selbst hat Gerd Herholz die Geschichte dieser Beziehung Ende der 90er Jahre erzählt, allerdings unter einer Bedingung: Dass die Tonbandaufnahmen erst nach ihrem Tod ausgewertet und erst dann darüber geschrieben werden dürfe. Was nunmehr geschehen ist. Entstanden ist jedoch viel mehr als die Dokumentation einer bislang unbekannten Liebesgeschichte im Leben eines mäßig bekannten Literaten. In ihren Erinnerungen an die Begegnungen mit von Radecki, an Besuche seiner Lesungen und an gemeinsame Reisen (zu dritt: von Radecki schloss sich gern den beruflichen Erkundungsreisen des Reisebüro-Ehepaars an) erzählt sie auch ein spannendes Stück Zeit- und Alltagsgeschichte der Nachkriegszeit und 60er Jahre.
1946, der Krieg zu Ende, Johannes war aus der Gefangenschaft zurück gekehrt. Ausgehungert waren wir, heißhungrig auch auf Lesestoff. Aber wir hatten nichts. . . . Endlich konnten wir Bücher kaufen, auch welche von Sigismund von Radecki. Wir liebten den, noch ehe wir ihn persönlich kannten.“„19.46, der Krieg zu Ende, JKohannes war aus der gefangenschaft zurückgekehrt. Ausgehungert waren wir, heißhungrig auch auf Lesestoff. Aber wir hatten nichts, nullkommanichts. .. . . Endlich konnten wir uns Bücher kaufen, auch welche von Sigismund von Radecki. Wir liebten den, noch eher wir ihn persönlich kannten.“
So beginnen die Erinnerungen von Ruth Weilandt in Gerd Herholz‘ Geschichte, die er mit Fakten angereichert hat. Kein einziges Mal spricht sie in dieser Dokumentation von einer Liebesbeziehung. Davon lässt sich nur zwischen den Zeilen lesen und hinter ihren Worten einiges erahnen. Am Ende heißt es jedoch: „Es ist nicht passiert, worauf der Johannes eine Ehescheidungsklage hätte einreichen können.“
Nachlass in der Wohnung aufbewahrt
Ruth Weilandt-Matthäus und ihr Mann Johannes eröffneten in den 60er Jahren ein Reisebüro in Gladbeck. Sie wohnten viele Jahre, bis zum Tod von Ruth Weilandt im Jahr 2005, an der Horster Straße 14. Zum ersten Mal trafen sie und ihr Mann den Schriftsteller 1961 bei einer Lesung in Düssseldorf. Daraus entstand eine Freundschaft, 1964 widmete von Radecki dem Ehepaar sein Buch „Gesichtspunkte“.
Nach dem Tod von Radecki wurde Ruth Weilandt zu seiner Nachlassverwalterin. Sie bewahrte seinen gesamten Nachlass in der Wohnung an der Horster Straße 14 auf, gab zwei Sammelbände heraus und stellte ein Werkverzeichnis zusammen. Dem Stadtarchiv übereignete sie eine fast vollständige Werkausgabe.
Zum 100. Geburtstag des 1891 in Riga geborenen Schriftstellers organisierte Ruth Weilandt in Gladbeck 1991 eine von auswärtigen Medien viel beachtete Matinee im Lesecafe der Stadtbücherei. Ein Jahr später beschloss der Rat der Stadt, von Radecki mit einem Ehrengrab zu würdigen. Ruth Weilandt starb 2005 im Alter von 82 Jahren.
Die Stadtbücherei hat in ihrem Bestand eine Vielzahl der Erzählbände von Radecki. Darunter das wohl bekannteste „ABC des Lachens“ (1953 als rororo-Taschenbuch erschienen), auch „Die Welt in der Tasche“ und die von Ruth Weilandt herausgegebenen Sammelbände „Bekenntnisse einer Tintenseele“ sowie „Weisheit für Anfänger“. Gerd Herholz: „Die Texte von Sigismund von Radecki sind auch heute noch lesenswert“.
„Ruth, Sigismund und auch Johannes – eine Liebesgeschichte“ von Gerd Herholz ist veröffentlicht im Internet unter www.revierpassagen.de“ (Titel: Schöner als Kino: Wie Liebe und Tod nach Gladbeck kamen), herausgegeben von Bernd Berke.