Gladbeck. .

Beim Anblick der meterlangen Regale war für Katrin Bürgel schon als Schulkind klar: „Wow, hier muss man hin!“ Der Ort, der sie so in Entzücken versetzte, verbreitet nicht gerade den Glamour bunter Magazine. Vielmehr landen hier solche Papiere, die irgendwann in einer (städtischen) Verwaltung, Behörde oder auch in manchen Privatbeständen ad acta gelegt werden, aber trotzdem aufbewahrt werden sollen: im Archiv. Jener Besuch in der Sammlung ihrer Heimatstadt Kleve war die Einleitung ihrer beruflichen Biografie, denn Katrin Bürgel beschloss an diesem Tag: „Ich will Archivarin werden.“

Sieben Jahre Ausbildung

Zimmerhoch Zeugnisse vergangenen Lebens zwischen Aktendeckeln, Ordner mit Fotos, Landkarten – Gedrucktes in Hülle und Fülle. All das sollte ihre Berufswelt sein. Und Katrin Bürgel verwirklichte sich diesen Traum. Seit September 2009 steht das Stadtarchiv im Rathaus unter der Ägide der 35-Jährigen. Wie sie ihren Berufswunsch in die Tat umsetzen könnte, war für sie anfangs ein Buch mit sieben Siegeln. Sie erzählt: „Ich bin dann den klassischen Weg gegangen.“ Das bedeutete: Sie studierte ab 1996 in Düsseldorf Deutsch und Geschichte, legte ihr erstes Staatsexamen ab. Es schloss sich eine Ausbildung im Archivwesen an, die Theorie und Praxis umfasst. Katrin Bürgel absolvierte sie in Magdeburg und Marburg. Am Ende stand das zweite Staatsexamen. „Sieben Jahre muss man schon einrechnen“, meint sie. Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste im höheren Dienst heißt ihre offizielle Berufsbezeichnung.

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Dieser sperrige Titel weckt in der Köpfen von Laien die gleichen klischeehaften Vorstellungen wie die Vokabel „Archivarin“. Vor dem geistigen Auge taucht dann eher ein verschrobener, bebrillter Bücherwurm auf, der in seinem stillen Kämmerlein seine Nase in dicke Wälzer steckt. „Meine Musiklehrerin sagte: ,Da sitzt du nur im verstaubten Keller’“, erinnert sich Bürgel lachend.

Gladbecks Stadtarchivarin wie sie leibt und lebt sprüht hingegen vor guter Laune. Der quirligen 35-Jährigen blitzt die Leidenschaft für ihre Arbeit aus den Augen. Sie kennt die sonderbaren Vorurteile, die mit ihrem Beruf verbunden sind. „Ich habe sehr viel mit Menschen zu tun“, widerspricht sie dem Image, sich inmitten staubiger Folianten und Urkunden zu vergraben.

Schließlich sichtet, ordnet und bewahrt sie das Archivgut nicht aus Selbstzweck. „Wir wollen das kulturelle Leben in seiner Gesamtheit abbilden“, unterstreicht Bürgel. Deshalb finden Unterlagen der Verwaltung wie Protokolle über wichtige Entscheidungen in der Stadt ebenso einen Platz in den insgesamt fünf Magazinen wie Zeitungen und Fotos sowie diverse Schriftstücke aus anderen Beständen.

„Archivare rechnen in laufenden Metern“, erläutert Katrin Bürgel. Auf etwa zwei Kilometern reihen sich bei 20 Grad Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit Kartons, Ordner und andere Dokumente anein­ander. Die 35-Jährige schätzt, dass allein 10 000 Fotos und rund 1000 Plakate und Karten im Stadtarchiv lagern. Bürgels Herz hängt besonders an einer handgezeichneten Karte von Wittringen. „Die Entstehungszeit ist um 1900. Die einzelnen Bäume sind eingemalt, und wenn man genau hinschaut, sieht man sogar die Schatten“, schwärmt die Expertin. Ältestes Dokument im Bestand: eine Urkunde von 1423.

Für jeden zugänglich

Alles, was Katrin Bürgel in die Finger bekommt, muss sie bewerten und verstauen („ohne Briefklammern, die rosten“) – und zwar so, dass das Archivgut auch wieder auffindbar ist. Denn das ist neben dem Bewahren ein weiteres Ziel: Das Material soll jedem Interessenten zur Verfügung stehen. Das gilt für Schüler und Studenten ebenso wie für Familienforscher und Wissenschaftler. Bürgel und ihre beiden Mitarbeiterinnen helfen bei der Suche. „Im vergangenen Jahr hatten wir insgesamt rund 400 Anfragen“, so Bürgel. Die Stadtarchivarin hat sich vorgenommen, die Zusammenarbeit mit Schulen zu stärken. Da sage noch mal jemand, Archivare seien menschenscheue Wesen . . .