Gladbeck.
Manche Geschichten kann nur das Leben schreiben, die fallen keinem noch so fantasievollen Drehbuchautor ein. Davon könnte Karl-Heinz Brächter ein Lied mit etlichen Strophen singen, denn die Streitigkeiten, die auf dem Wohnzimmertisch des Schiedsmannes landen, sind bisweilen zum Staunen und Kopfschütteln. Zwei Jahrzehnte bekleidet der 77-jährige gebürtige Essener dieses Ehrenamt, Ende des Jahres soll Schluss sein.
Wenn Brächter auf die lange Zeit zurückblickt, in der er versucht hat, Auseinandersetzungen zwischen Streithähnen zu lösen, kann er sich oft nur wundern – über den häufig kleinen Anlass des Zwistes. Gerade im Sommer erhitzen sich erfahrungsgemäß schnell die Gemüter und Meinungsverschiedenheiten kochen hoch: Da grillt jemand Würstchen auf dem Balkon, und der Qualm steigt den Bewohnern in der Etage darüber störend in die Nase; in lauen Sommernächten wird gerne lange gefeiert; Kinder lärmen in den Ferien bis in die Puppen im Freien; Hecken und anderes Grünzeug gedeihen besser als es dem Nachbarn lieb ist – die Reihe der Zankäpfel ist schier endlos.
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Nachbarschaftsstreitigkeiten machen das Gros der Fälle aus, die in Brächters Wohnzimmer landen. Das ist der „Verhandlungsort“, dort sitzen die Gegner dem 77-Jährigen gegenüber und legen ihre Position dar. „Der Antragsteller, der einen Schiedsmann oder eine Schiedsfrau einschaltet, muss immer dorthin gehen, wo der Gegner wohnt“, erklärt der 77-Jährige. Das Gladbecker Stadtgebiet ist in drei Bezirke aufgeteilt: Zweckel-Rentfort-Schultendorf, Mitte-Ellinghorst und Butendorf-Brauck-Rosenhügel – jeweils mit einer Person plus Vertretung besetzt. Karl-Heinz Brächter erklärt: „Das gesamte Verfahren kostet 40 Euro.“ Meistens würden die Kosten bei einer Einigung – „das sind 65 Prozent meiner Fälle“ – zwischen den Parteien geteilt. Durchschnittlich einmal pro Monat ruft jemand den Schiedsmann, „die unterste Ebene der Justiz“, an. „Alles was wir machen, ist, einen Kompromiss zu finden“, stellt Karl-Heinz Brächter klar, „meistens haben beide Seiten recht und beide unrecht.“
Viele Steine des Anstoßes kennt Brächter mittlerweile und kann sie routiniert aus dem Wege räumen. Andere, filmreife, Fälle sind unvergesslich. So das Erlebnis eines Witwers, der über ein Heiratsbüro eine Frau kennenlernte und mit ihr in deren Wohnung auf ein oder mehr Gläschen Cognac ging. Irgendwann telefonierte sie heimlich, kurz darauf betraten muskelbepackte Männer die Räume und verprügelten ohne ein Wort den Besucher. Der wandte sich an den Schiedsmann und wollte einfach nur wissen, warum er diese Abreibung bekommen hatte. Erklärung: „Die Frau hatte behauptet, er hätte sie sexuell belästigt.“ Aber: „Das konnte ich regeln. Die Angreifer haben sich entschuldigt und die Kosten übernommen.“