Gladbeck. .
„Kaugummis ‘raus, Kappen ab, Handys abschalten!“ Das sind klare Ansagen für 15-Jährige, die nach den Sommerferien ihre ersten Bewerbungen schreiben müssen. „Ihr könntet hier euren künftigen Arbeitgeber treffen“, machen Sarah Keller und Sonja Fischer von der Städtischen Berufshilfe (Anstoß) an diesem Vormittag rund 500 Gladbecker Jugendlichen den Ernst des (Beruf)lebens klar. Die strömten, wie jedes Jahr, klassenweise zur Berufsinfobörse in die Stadthalle, erhielten von rund 40 Ausstellern jede Menge Infos über Ausbildungsmöglichkeiten. Wenn sie an deren Stand kommen . . . .
Andrea van Dillen, Ausbildungsbeauftragte bei Malzer, guckt etwas verzweifelt auf die leeren Stühle vor ihrem Tisch. Am appetitlich rot-weiß-gestylten Bäckerstand laufen die meisten Schüler vorbei, oder kommen erst gar nicht in die Nähe. „Der Bäckerberuf ist nicht erste Wahl“, weiß van Dillen. Und sie kennt den Grund: „Die Arbeitszeiten, 21 bis 6 Uhr, schrecken ab, obwohl es Nachtzuschläge und gute Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Außerdem bilden wir auch Fachverkäufer, Industriekaufleute und Fachkräfte für Lebensmitteltechnik aus und übernehmen alle!“ Der Fachkräftemangel ist in dieser Branche bereits ein akutes Problem. Andrea van Dillen: „Aktuell kann ich zum 1. August noch freie Ausbildungsplätze in Gladbeck und Gelsenkirchen anbieten.“
Gegenüber, am Stand bei Eon, sitzen fünf Azubis und sind der lebende Beweis: Die Nachwuchssituation bei Industriemechanikern und Elektronikern ist besser. Noch. „Wir haben immer mehr Schwierigkeiten, ausreichend qualifizierte Azubis zu finden, die technisches Verständnis und Interesse haben“, gibt Ausbilderin Nicole Karpen ein Bild der Lage. Grundkenntnisse in Mathe, dazu Kenntnisse in Chemie und Physik, das seien Voraussetzungen, an denen Bewerber immer öfter scheitern.
Emre, der die Gesamtschule mit der Fachoberschulreife (FOR) abgeschlossen hat und von Anstoß betreut wurde, hat alle Hürden geschafft, ist jetzt im ersten Lehrjahr und lockt interessierte Schüler mit einer „Kugelbahn“ an den Stand – eine Projektarbeit, die viel von dem zeigt, was den Beruf eine Industriemechanikers ausmacht: „Fräsen, Drehen, Bohren, Biegen . . .“
Das könnte glatt etwas für Mario (15) sein. Der Schüler der Elsa-Brändström-Hauptschule hat schon ein klares Berufsziel: „Feuerwehrmann“ will der Jugendliche werden und „übt“ schon bei der Jugendfeuerwehr. Dass er für seinen Traumjob erst eine handwerkliche Berufsausbildung machen muss, hat Mario auf der Infobörse bestätigt bekommen.
Kumpel Kevin (15) weiß eigentlich auch schon, wohin seine Berufsreise gehen könnte: „Krankenpfleger, vielleicht Altenpfleger.“ Oder doch etwas ganz anderes? Der Berufswahlfragebogen der Jugendberufshilfe, der eine erste grobe Orientierung bieten soll, brachte bei ihm dieses Ergebnis: „Melde dich bei Anstoß.“
Nachgefragt:
Fachkräftemangel, Nachwuchssorgen in Betrieben – entspannt sich der Ausbildungsmarkt?
Sarah Keller: Nicht sehr und nicht für Jugendliche mit Hauptschulabschluss. Die Gründe: Nach wie vor stürzen sich viele auf die „typischen“, beliebten Berufe wie Friseurin, Einzelhandelskauffrau-/mann, KFZ-Mechatroniker. Unbekanntere oder unbeliebtere Berufe werden nicht beachtet, wie zum Beispiel der Kanal- und Rohrbauer.
Welche Hindernisse gibt es darüber hinaus?
Sonja Fischer: Für viele Ausbildungsberufe werden zunehmend höhere Abschlüsse verlangt. Ein Hauptschulabschluss bietet nur noch wenige Möglichkeiten. Das Nachsehen haben hier insbesondere die Mädchen. Jungs mit einem geringeren Abschluss finden im handwerklichen Bereich noch mehr Ausbildungsmöglichkeiten.
Welche Gruppe hat es besonders schwer auf dem Ausbildungsmarkt?
Sarah Keller: Schwierig ist es nach wie vor Jugendliche mit Migrationshintergrund. Zum einen wegen sprachlicher Defizite, eine „Fünf“ in Deutsch geht einfach nicht. Aber manche mittelständischen Arbeitgeber haben auch schlechte Erfahrungen mit Praktikanten gemacht, die nach einer Woche einfach weggeblieben sind.
Was lässt sich dagegen tun?
Sonja Fischer: Gegen die sprachliche Defizite bei 15- oder 16-Jährigen können wir nicht viel tun. Das müsste viel früher, noch vor der Schule passieren. Wir ermutigen die Jugendlichen aber, ihre Multikulturalität und Mehrsprachigkeit als Vorteil zu nutzen.