Gladbeck.

In den Parterre-Wohnungen sind alle Fenster mit Stahlplatten gesichert. Fast alle. Hinter zweien im Haus Uhlandstraße 17 hängen noch Gardinen, stehen Blumentöpfe auf den Fensterbänken. Hier leben Karl (58) und Helmut Reinisch (61) – und hier wollen sie auch bleiben.

Die letzten Nachbarn sind vor vier, fünf Jahren ausgezogen. Die vier Zechenhäuser an der oberen Uhlandstraße sollen abgerissen werden. Die Brüder Reinisch sind geblieben, und nur deshalb sind die Backsteinhäuser noch nicht dem Erdboden gleich gemacht worden. Die Eigentümerin, die Deutsche Annington, hat schon etliche Versuche unternommen, ihren letzten Mietern andere Wohnungen schmackhaft zu machen, ohne Erfolg. Karl und Helmut Reiners wollen die Wohnung, in der sie geboren wurden, nicht gegen eine andere eintauschen. Jetzt hat Annington, die das insgesamt 4700 qm große Grundstück an die Stadt verkaufen will, ihnen eine letzte Frist gesetzt: Bis Ende Februar müssen sie die Wohnung verlassen habe, sonst droht die Zwangsräumung.

„Unsere Familie lebt in dieser Wohnung schon seit 120 Jahren“, sagt Karl Reinisch trotzig. Der Mietvertrag seines Großvaters Josef datiert aus dem Jahr 1886. Damals, als die Zeche Graf Moltke abgeteuft wurde, auf der Karl Reinischs Großvater, sein Vater und auch er selbst arbeiteten, entstanden die Häuser entlang der Uhlandstraße. Zwischen Schützen- und Goethestraße sind die Gebäude vor einigen Jahren saniert worden – die Backsteinfassaden unter hellem Putz verschwunden. Zeugnisse der Stadtgeschichte sind das nicht mehr.

Die vier Sechs-Familien-Häuser, die zwischen Goethe- und Horster Straße noch stehen, sind nahezu unverändert geblieben. Nur die kleinen Nutzgebäude auf der Gartenseite, in denen die Mieter früher Schweine, Kaninchen und Hühner hielten und wo auch die Plumpsklos untergebracht waren, sind in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts abgerissen worden. Badezimmer entstanden in Anbauten zwischen den Häusern.

In der 55 Quadratmeter großen Parterrewohnung, in der Karl und Helmut Reinisch leben, hat sich seit Großvaters Zeiten so gut wie nichts verändert. „Hier ist die Zeit stehen geblieben“, sagt Karl Reinisch. Ihm gefällt es, genau so wie es ist. Beheizt werden die dreieinhalb Zimmer mit Kohle oder Holz. Im Treppenhaus – auffallend großzügig angelegt – bröckelt der grüne Putz mittlerweile von den Wänden. Ein paar rostende Briefkästen hängen da noch. Benutzt werden sie schon seit Jahren nicht mehr. Der Postbote kommt nicht mehr ins Haus, die Brüder haben die große vordere Eingangstür von innen verrammelt, um ungebetene Gäste fernzuhalten. Briefe schiebt der Zusteller einfach unter die Tür.

Die beiden letzten Mieter im Haus benutzen den Hintereingang. Früher führten diese Türen direkt in die für Zechenhaussiedlungen typischen großen Gärten. Davon ist heute kaum noch etwas zu erkennen. Seit Jahren wächst dort, was wachsen will. Habichte, Igel und Kaninchen haben das Brachgelände für sich wiederentdeckt. Sogar einen Fuchs haben die Brüder im vergangenen Jahr gesichtet. „Das ist hier Idylle pur“, finden sie. In der äußersten Ecke haben sie Stückchen Garten gesichert. Die Bank, die darin stand, hat man ihnen im vergangenen Jahr geklaut.

Überhaupt schleichen hinter den leer gezogenen Häusern immer mal wieder Menschen herum, die da nichts zu suchen haben. Karl Reinisch hat sogar schon mal üble Schläge einstecken müssen, als er Eindringlinge aus dem Haus vertreiben wollte. Und vor ein paar Jahren hat er Jugendliche dabei erwischt, als sie das leere Nachbarhaus in Brand stecken wollten. Die Polizei kam gerade noch rechtzeitig.

Selbst solche Zwischenfälle können die Brüder nicht umstimmen. Sie wollen nicht weg, und das nicht nur aus persönlichen nostalgischen Gründen. Karl und Helmut Reinisch möchten auch ein Stück Stadtgeschichte erhalten: „Diese Häuser sind die ältesten ihrer Art in Gladbeck. Die dürfen nicht abgerissen werden, die gehören unter Denkmalschutz.“