Gladbeck.

Zwei Stunden lang schellten gestern fast ununterbrochen die WAZ-Telefone, als es bei einer medizinischen Fragestunde um das Thema „Inkontinenz“ ging. Und zwei Stunden standen Chefarzt Prof. Dr. Bernhard Planz und Oberärztin Dr. Gabriele Tichy-Voß von der Urologie am St.-Barbara-Hospital den Anrufern unermüdlich Rede und Antwort.

Die meisten Anrufer waren Frauen, die die Gelegenheit nutzten, am WAZ-Telefon ihr Problem zu schildern und einen ersten Rat einzuholen. Es ging um starken Harndrang, um Harnverhalt, um die Problematik bei einer Schrumpfblase, genauso aber auch bei einer überaktiven Blase. Es ging um Blasenentzündungen, um Zustände nach Blasenvorfällen oder um die Reizblase. Aber auch ganz spezielle Erkrankungen wurden besprochen. In allen Fällen klagten die Anrufer über mehr oder weniger Urinverlust. Mehr als drei dutzend Anrufer registrierte die Redaktion - so viele Anrufer wie selten bei einer WAZ-Telefonaktion.

Wichtig für die beiden Urologen war, den Patienten Angst zu nehmen, mit ihrem Problem den Arzt aufzusuchen. „Immer noch ist das Thema Inkontinenz ein Tabuthema, immer noch trauen sich viele nicht, darüber zu reden“, so Prof. Planz. Dabei könne man heutzutage so gut wie allen helfen, „viele werden sogar trocken.“

Wichtig sei, dass die Patienten über ihre Symptome reden, sich anvertrauen, es danach zu einer umfassenden Diagnostik komme, so Dr. Tichy-Voß. Die allermeisten könne anschließend durch eine medikamentöse Therapie oder einen kleinen operativen Eingriff geheilt werden.

Die Ärzte erklärten den Anrufern verschiedene Therapieansätze. Bei Urinverlust durch körperliche Belastung liege meist eine Beckenbodenschwäche vor, so Tichy-Voß. Hier bringe die Einlage eines spannungsfreien Bandes unter die Harnröhre sehr gute Heilungserfolge. Helfen könne ebenfalls eine Unterpolsterung der Harnröhre mit Gelmaterialien. „Bei Vorliegen einer Blasen- oder Gebärmuttersenkung ist eine einfache Pessartherapie möglich bis zur operativen Stabilisierung des Beckenbodens durch ein Netzimplantat.“ Unterstützend wirke die Anwendung von Östrogenpräparaten in der Scheide.

Weit verbreitet sei, so Planz, das sogenannte Syndrom der überaktiven Blase, verbunden mit sehr häufigem auch nächtlichem Harndrang und nicht unterdrückbarem Urinverlust. Ursachen können hierbei u.a. Erkrankungen wie Diabetes oder Parkinson sein. Reichen Medikamente, die die Blase beruhigen, nicht mehr aus, empfiehlt sich, so der Chefarzt, das Einspritzen von Botulinumtoxin in die Blasenmuskulatur (bekannt als „Botox“). So werde die Überaktivität der Blase gedämpft, was insbesondere bei Patienten mit multipler Sklerose oder Querschnittslähmung zu einer deutlich verbesserten Kontinenz führt, erläuterten die beiden Mediziner.

Eine erfolgreiche Methode zur Beeinflussung der Blasenfunktion, die auch bei Entleerungsproblemen sowie Stuhlinkontinenz eingesetzt werden kann, ist die Implantation eines Harnblasenschrittmachers, erklärten Tichy-Voß und Planz weiter. Hier werden die für die Blasenfunktion zuständigen Nerven stimuliert ähnlich einem Herzschrittmacher. Das Implantat (auch als „Harnschrittmacher“ bekannt) ist unsichtbar, der Eingriff erfolgt nach einem zuvor durchgeführten Test, dem sogenannten PNE-Test.

Männer seien, so Planz, oft auch nach einer Prostataerkrankung oder nach einer Operation von Urinverlust betroffen. „Hier haben sich ebenfalls Bandimplantate und Unterspritzungen der Harnröhre bewährt.“ In Extremfällen helfe manchmal allerdings nur ein künstlicher Schließmuskel. Jeder Patient erhalte nach Einweisung in die Urologie am Barabara-Hospital einen eigens entworfenen Beratungs – und Therapieordner, der übersämtliche Verfahren ausführlich aufklärt.

Planz: „Inkontinenz ist keine Bagatelle, kann die Lebensqualität reduzieren.“ Daher sollten alle Betroffenen, wie bei der WAZ-Telefonaktion, Mut fassen, und Rat und Aufklärung suchen. „Für jeden gibt es eine spezielle und optimale Therapie.“

Im Kontinenzzentrum der KKEL am St.-Barbara-Hospital arbeiten auf Harn- und Stuhlinkontinenz spezialisierte Ärztinnen und Ärzte der urologischen, gynäkologischen und viszeralchirurgischen Klinik fachübergreifend zusammen. Ein erster Kontakt ist über das Sekretariat der Urologischen Klinik möglich unter Teelfon O2043/278-5800.