Geschichtsforscher Manfred Samen referierte im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit über das Schicksal der Familie Röttgen.

„Ich bin geboren am 8. Oktober 1883 in Wattenscheid, besuchte dort die Volksschule und das Vorgymnasium. Dann war ich drei Jahre in der kaufmännischen Lehre in Mülheim/Ruhr und zwei Jahre in Elberfeld als Verkäufer tätig. Ich blieb dann bei meinen Eltern in Wattenscheid. Bis 1910 war ich dort im elterlichen Betrieb tätig. Im Frühjahr 1910 übernahm ich in Gladbeck ein eigenes Geschäft.“„Von 1930 bis 1933 war ich als Versicherungsagent bei der Albingia in Dortmund tätig.“

Kurz nach seiner Verhaftung nach der Reichspogromnacht stand Siegfried Röttgen der Gestapo Rede und Antwort. Die Akten dazu lagern im Düsseldorfer Landesarchiv. Hier ist dokumentiert, wie es dem Gladbecker Kaufmann nach seiner Verhaftung erging.

Siegfried Röttgen wähnte sich noch hier als Teil der Gesellschaft. 1910 war er nach Gladbeck gekommen, hatte das Kaufhaus „Gebrüder Röttgen“ des Verwandten Abraham Röttgen übernommen und brachte es zu neuer wirtschaftlicher Blüte. Zu dieser Zeit befand sich das Kaufhaus an der Hochstraße 27, heute Goetheplatz. „Dort hat die Familie Röttgen das Kaufhaus über drei Stockwerke etabliert“, weiß Manfred Samen, der intensiv zur Familiengeschichte der Röttgens forschte.

Die Zeichen standen gut für die Kaufmannsfamilie. Schon 1914 vergrößerte und modernisierte Siegfried Röttgen sein Geschäft. „Ein deutlicher Hinweis, dass das Kaufhaus florierte“, ist Samen sicher. Alte Zeitungsanzeigen zeugen davon, dass der junge Röttgen sein Handwerk verstand. Mit wohlklingenden Sätzen bewarb er regelmäßig sein Angebot, das von Kleiderstoffen über Kurzwaren bis hin zur „Arbeitergarderobe“ vieles umfasste.

Im Jahr des Umbaus heiratete Siegfried Röttgen Regina Leeser, mit der er drei Töchter bekam. Nur ein Jahr später schon zog der Kaufmann in den Krieg. Zur Familienplanung war bisher keine Zeit gewesen. Die erste Tochter, Ingeborg, wurde 1919 geboren. Und Siegfried Röttgen hatte noch mehr vor. Wieder plante er Modernisierungsarbeiten. 1922 waren seine Pläne konkret. „Siegfried Röttgen war darauf bedacht, die Geschäftsräume regelmäßig zu modernisieren um sein Geschäft zu stärken“, weiß Manfred Samen und hebt hervor, dass sich der Geschäftsmann 1929, also bereits in der Weltwirtschaftskrise, noch mit dem Gedanken trug, die Schaufenster mit Eichenrahmen auszustatten und seine Schilder mit Leuchtschrift. Nur ein Jahr später aber gab er sein Geschäft auf.

Als jedoch die Nazis die Herrschaft in Deutschland übernahmen, wurde er entlassen, schlug sich fortan als Textilvertreter für eine Firma in Sachsen durch. Das Leben wurde zunehmend schwerer für die Familie. Immer mehr war sie den Repressalien der Nationalsozialisten ausgesetzt. Das änderte sich auch nicht mit dem Umzug nach Essen 1934. Dort lebte der Bruder Hermann, der als Anwalt tätig war.

In der Pogromnacht vom 10. auf den 11. November 1938 wurde Siegfried Röttgen festgenommen und von der Gestapo verhört. Erst am 23. November ließ man ihn wieder frei. Es ist zu vermuten, dass er in der „Schutzhaft“ keinen körperlichen Schaden erlitt.

„Sämtliche von mir in das Untersuchungsgefängnis eingebrachten Sachen habe ich vollständig und unbeschädigt zurückbekommen.“


Die drei Töchter flohen 1939 nach England. Siegfried und Regina aber blieben. „Ich vermute, dass sie keine Barmittel hatten, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie waren ja mehr als gewarnt“, so Manfred Samen, der daran erinnert, dass Siegfrieds Mutter Sara 1942 im hohen Alter von 82 Jahren deportiert wurde. Am 28. Februar 1943 wurden Siegfried und Regina Röttgen in Essen verhaftet. Er war zu diesem Zeitpunkt 60 Jahre alt, sie 50. Beide wurden nach Auschwitz gebracht. Hier wurden sie sofort getötet.